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Einer von uns.

Sa, Mrz 28, 2015

Schnipsel

Einer von uns.

In diesen Tagen sehen wir einen von uns in einem furchtbaren Zusammenhang. Der Co-Pilot Andreas L. war Läufer, er trat bei meinem Heimat-Halbmarathon an und Teile der Presse scheinen geradezu beglückt, dass es sich dabei um den Lufthansa-Halbmarathon handelt. Wir haben den unseligen Co-Piloten unverpixelt gesehen, in einer uns vertrauten Art. Eine solche Startnummer, genau mit den gleichen Logos habe ich auch schon oft getragen. Früher hatten es Journalisten schwer, schnell an Bilder von Personen zu kommen. Bei Läufern ist das heute ein Klacks. Nachdem der erste auf die Idee gekommen ist, sich anhand einer Ergebnisliste weiter zu hangeln, hagelte es geradezu Laufbilder von Herrn L.

Andreas_1

Andreas_2

Andreas_3

Andreas_4

Ich habe mich damit beschäftigt, ob es überhaupt rechtens ist, ein unverpixeltes Laufbild zu verwenden. Grundsätzlich darf man natürlich nicht einfach ein solches Foto kaufen und beliebig abbilden. Die BRIGITTE dürfte nicht etwa laufende Frauen meiner Altersklasse drucken, um die unterschiedlichen Farben und Formen von Cellulitis zu dokumentieren. Etwas anders sieht es aus, wenn das öffentliche Interesse ruft, die abgebildete Person eine Person der Zeitgeschichte ist. Das muss man im Fall von Andreas L. bejahen. Gleichwohl ist er ein Tatverdächtiger, die Untersuchungen sind keineswegs abgeschlossen. Wie viel Bild brauchen wir von einem Tatverdächtigen?

Ist ein einfaches Porträtbild, wie im Fall der Attentäter des 11. September oft gezeigt, nicht genug, um dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu dienen? Ist es nicht zumindest unseriös, Bilder aus dem Internet zu fischen, die jemanden bei der Ausübung seines Hobbys zeigen – um dann auch noch Verbindungen herzustellen? Der junge Mann war nicht zu stoppen, liest man zu einem Bild, das ihn als Läufer zeigt. Er war gar vor seinen Depressionen „auf der Flucht“. Der geneigte Laie glaubt ja ohnehin zu wissen, dass Läufer immerfort vor etwas weglaufen. Wie wunderbar passt dieses Bild! Das alles natürlich unverpixelt (die Verpixelung habe ich vorgenommen) Was bringt es uns, in das nichtssagende Gesicht eines jungen Mannes zu sehen?

Ein Volkslauf ist eine öffentliche Veranstaltung. Aber jeder von uns weiß, wie viel Privatheit auch in einem Laufbild steckt. Es sind öffentliche, aber keine offiziellen Bilder. Wir haben verzerrte Gesichter, können aggressiv aussehen oder krank, hässlich oder böse, alt und entblößend.

Doch scheinbar muss man zukünftig damit rechnen, dass Bilder von Laufveranstaltungen jederzeit als breit gefächerte Pressedatenbank und Projektionsfläche dienen. Es braucht schließlich keine Wahnsinnstat, um zu einer Person öffentlichen Interesses zu werden. In ein großes Ereignis kann man auch unversehens und vollkommen zufällig geraten. Als Opfer, als Held, als Verwandter. Unsere Facebook-Profilbilder können wir noch schützen, selbst wenn sie öffentlich sind. Eine Blume könnte ebenso gut als Profilbild herhalten, niemand zwingt uns, unser Gesicht zu verwenden. Für die Bilder einer Laufveranstaltung gilt das nicht. Sie sind leicht zugänglich, ob wir wollen oder nicht.

Die Erfahrung zeigt, dass Journalisten im Zeitalter der modernen Medien mit noch mehr Fingerspitzengefühl vorgehen müssen. Durch die schnelle massenhafte Verbreitung kann ein falsches Bild, ein unbedachtes Zuviel an Information eine Katastrophe auslösen. Angehörige sind unbedingt zu schützen. Vor Medienhatz, vor Rache, vor allen Dingen, die noch mehr im Schmerz herumbohren, als es „Journalisten“ ohnehin schon tun. Doch dank offen zugänglicher Bilddatenbanken sind alle Schranken gefallen.

Die Welt weiß bislang fast nichts über einen jungen Mann, der scheinbar vorsätzlich 150 Menschen tötete. Doch eins wissen wir: Dass er Läufer war. Eine Information, die niemandem etwas bringt. Aber die doch so wichtig zu sein scheint, wenn man die Bilder der letzten Stunden betrachtet.

12Antworten um “Einer von uns.”

  1. Robert Says:

    Gleiches ging mir (und wahrscheinlich ausenden anderen Läufern) durch den Kopf, nachdem jemand das BILD auf Facebook postete (ich selber verspürte zum Glück noch nie das Bedürfnis, dieses Blatt käuflich zu erwerben, geschweige denn zu lesen).
    Warum darf JEDER ein Bild von JEDEM bei den Foto-Diensten erwerben? Ich persönlich würde mir eine „überprüfung“ wünschen. Doch leider gibt es wohl derzeit keine technische Lösung, die da helfen könnten. oder doch? ich erinnere mich schwach an die Werbung für den neuen Personalausweis. Ich habe mir damals sogar das Lesegerät besorgt! Und wie oft hatte ich in den letzten Jahren die Möglichkeit dazu es zu nutzen? NULL!
    Bei solchen Sachen, wie Bilder-Bestellung wäre es doch geradezu ideal!

  2. Sascha Says:

    Grade weil es eben aktuell nichts zu berichten gibt was wir nicht alle eh schon meinen zu wissen müssen wir solche Bilder sehen. Traurig. Stell dir mal vor er hätte „Killer“-Spiele gespielt…

  3. Dirk Says:

    BILD und Konsorten sind schon lange dafür bekannt, ungefragt Bilder aus sozialen Netzwerken zu verwenden, gerne auch von zufälligen Unfallopfern oder Opfern von Straftaten. Davor kann man sich aber zumindest durch Fantasie-Profilbilder oder entprechende Privatsphäre-Einstellungen wenigstens zum Teil schützen. Ich frage mich aber schon länger, weshalb es zulässig ist, dass die Fotografen so mit dem Fotomaterial von Laufveranstaltungen umgehen. Die erzwungene Einwilligung bei der Anmeldung, ohne die man überhaupt nicht mehr teilnehmen darf dürfte die Verbreitung von Portrait-Aufnahmen nicht abdecken. Zur „Person der Zeitgeschichte“ werden die Betroffenen einer solchen Berichterstattung ja erst später. Ich denke, wenn mal jemand gegen einen Fotografen klagen würde, dann würde sich der Umgang mit den Fotos schlagartig ändern.

    Zum Abschluss aber noch eins: ich finde es gut, dass Heidi das Problem erkannt und thematisiert hat und verbscheue die Art und Weise der medialen Berichterstattung. Weniger gefällt mir aber der Aufhänger „einer von uns“. Denn nur weil er auch Läufer war, möchte ich mit einem (mumaßlichen) Massenmörder nichts gemein haben.

  4. Eddy Says:

    Wahre Worte. Auf den Punkt. Danke dafür!

  5. Frauschmitt Says:

    Hallo Dirk,
    ja, der Titel hat einigen Leuten nicht gut gefallen. Ich habe schon überlegt, ob ich ihn ändern sollte, habe aber dann doch beschlossen, ihn so zu lassen, weil er einem spontanen und ehrlichen Gefühl entspricht. Ich habe das Laufbild gesehen und es war so seltsam vertraut und genau dieses Gefühl hat die anderen Gedanken ausgelöst. Wenn man sein Foto finden kann, kann man auch unsere Fotos finden. Und am Ende müssen wir alle damit leben, dass ein Mensch aus unserer Mitte zu einer solchen Tat fähig war, kein Außerirdischer, sondern ein Mensch.

  6. Biggi Says:

    Liebe Heidi,

    es ist mal wieder so wahr was du schreibst.

    Mich hat es auch erschüttert, wie die Lauffotos in dem Fall „weiterverwendet“ werden und auch wie Twitterfotos von einem anderen Andreas, der damit überhaupt nichts zu tun hat, „weiterverwendet“ wurden:
    https://www.nachrichten.at/nachrichten/weltspiegel/Absturz-Medien-veroeffentlichten-falsches-Bild-des-Co-Piloten;art17,1713941.

    Ich fürchte, von den meisten Konsumenten wird sowas jedoch nicht hinterfragt, im Gegenteil, je näher und je persönlicher, desto besser. Das würde auch erklären, warum es inzwischen ja leider auch üblich ist, Unfälle und Unfallopfer mit dem Smartphone zu filmen und die Filme dann ins Netz zu stellen.

  7. Markus Says:

    Traurig! Aber wahr!

  8. Wiesel Says:

    Volle Zustimmung.

    Finde die ganze Sache einfach nur beschämend und nebendran als wäre das Unglück nicht auch so schon groß genug.

    Selbst in den seriören Medien fand ich die Berichterstattung teilweise schwach. Es gab gerade zu Beginn keine bis wenig Infos also wurde mal losspekuliert und immer wieder die gleiche Soße aufgewärmt um irgendwie eine Sondersendung zu füllen. Armes Deutschland …..

  9. Henrik Says:

    Ich finde es nicht glücklich, dass jeder Bilder von jedem Läufer kaufen kann. Anders ist aber die Nachfrage nach Lauffotos von großen Events nicht zu erfüllen. Am liebsten wollen die Leute ihr Bild vom Zieleinlauf gleich nach diesem bekommen. Problematischer ist der Umgang der Medien mit diesen Bildern. Sie sind dermaßen aus dem Zusammenhang gerissen und die Presse ist sich nicht zu schade, billigste Sprüche zu klopfen (i.S.v. er lief dem Leben davon usw.). Erbärmlich ist zudem, dass wir neben eine atemberaubend großen Gruppe an sog. „Luftfahrt-Experten“ nun auch „Lauf-Experten“ haben:

    >>Der 27-jährige Co-Pilot joggte nach Focus-Informationen bis zum Exzess. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Düsseldorf-Unterbach fand sich eine Kladde, in der Lubitz akribisch seine Laufzeiten eingetragen hatte. Zehn Kilometer lief er in 43 Minuten, 16 Kilometer in 1:13 Stunden. Laufen scheint für ihn eine Art Therapie gewesen zu sein. Bewegung als Antwort auf seinen Gemütszustand, der sich zusehends verfinsterte. In seinem Facebook-Account fanden die Ermittler den Eintrag: „Hartes Training für den Iron M Man.“<<

  10. Frauschmitt Says:

    Es ist immer das selbe. Wenn man von einer Sache etwas versteht, merkt man erst wie dumm die Artikel sind. Hier entsteht der Eindruck, als wäre es etwas besonderes, die Läufe irgendwo festzuhalten und mit Bemerkungen zu versehen. Und ob Herr L. als ambitionierter Läufer automatisch „bis zum Exzess“ gelaufen ist, kann der Dumpfkopf vom Focus ganz gewiss nicht beurteilen. Aber Hauptsache, wir blasen irgendwas raus.

  11. Wolfgang Steeg, Catfun-Foto Says:

    Guten Tag FrauSchmitt; hallo in die Runde!
    Zu meiner Person: Nebenberuflicher Sportfotograf
    Die bisherige Betrachtung ist mir zu simpel.
    Womit haben wir es zu tun?
    Mit mindestens 6 Gruppen.
    Veranstalter, Läufer, Zuschauer, Fotografen, Redaktionen der Laufmagazine und die übrige Presse.

    Der Veranstalter kommt auf Grund der Datenschutzrichtlinien nicht umhin sich die Zustimmung unterschreiben zu lassen. Dabei braucht es nicht mal ein Foto um jemanden zu identifizieren.
    Name , Startnummer, Ergebnisliste und der Chef weiß, wer trotz Krankenschein gestartet ist.
    Es ist auch ohne diese Informationen in der heutigen Zeit möglich mit wenigen Daten fast alles im Netz in Erfahrung zu bringen.
    Den Punkt sowas zu regeln haben wir lange verpasst.

    Die Läufer sind oft diejenigen, die es mit den Fotos am Dollsten treiben. Trotz Copyrightvermerk und Wasserzeichen werden Fotos unerlaubt heruntergeladen, das Wasserzeichen beschnitten und die Fotos bei fb hochgeladen. Scheinbar sind Lauffotos doch begehrt und gerne genommen.
    Fotogalerien die nicht am Abend der Veranstaltung online sind, sind am nächsten Tag schon uninteressant.
    Somit stellt sich wohl kaum die Frage, ob Lauffotos wirklich gebraucht werden.
    Zwangsweise Einwilligung: siehe oben

    Das Fotografier-Verhalten der Zuschauer kann niemand kontrolieren.
    Auch deshalb : Einwilligung siehe oben

    Die Fotografen bedienen die Nachfrage der Läufer und der Redaktionen.
    Hier gilt es natürlich die Ethik zu waren.
    Natürlich würde ein Foto einer Siegerin die mit Durchfall ins Ziel läuft die Clickzahlen pushen.
    Ein Läufer mit Herzstillstand und Sanitäter drum rum ist auch nicht schlecht, oder eine der vielen Frauen in Rotterdam die sich noch auf der Ziellinie übergeben haben usw. ….habe ich alles…gleich wieder gelöscht.
    Der Betrachter darf sehen, dass der Lauf wehgetan hat. Aber niemand wird von mir oder meinen verantwortungsvollen Kollegen bloßgestellt.
    Es gibt bei Laufveranstaltungen so gut wie keinen Fotografen der sowas fotogarfiert.Wenn doch sind sehr schnell Kollegen und Ordner dabei und rufen diesen Fotografen zur Ordnung. Und die Redaktionen der namhaften Magazine würden es schon mal gar nicht bringen.
    Warum in einem Kommentar vorgeschlagen wird einen Fotografen zu verklagen erschließt sich mir nicht.
    Das Foto des Piloten war eines wie ich es wohl schon 50 000 mal oder öfter gemacht habe.

    Zu den Redaktionen der Laufmagazine habe ich schon was gesagt.

    Kommen wir zur übrigen Presse.
    Es ist nicht das erste Mal, dass bestimmte Redaktionen seltsame Mittel verwenden und streitbare Wege beschreiten um eine Sensationsschlagzeile zu haben.
    Wenn es kein Pilot sondern ein Taucher gewesen wäre hätte die Schlagzeile vielleicht gelautet: Niemand kannte die tiefen Abgründe seines Seelenschmerzes!
    Dazu ein Foto bei einem Tauchwettbewerb aufgenommen und alle Taucher wären betroffen.

    Hier sollte man an die verantworlichen Redaktionen (wie so oft erfolglos) herangehen und diese zur Rechenschaft ziehen.

    Es liegt im Bereich der ethischen Verantwortung eines Jeden, wie er mit Informationen umgeht.

    Aber sollen und wollen wir wegen des Verhaltens eines BildRedakteurs tatsächlich tausenden Läufern die Freude am Erinnerungsfoto nehmen.
    Ich schaue hier im Büro gerade an die Wand:Reykjavik, HH, B, Bertlich, HAJ, Zollverein…ok das reicht wohl.
    Fand ich übrigens bemerkenswert: HH Zielzeit Netto nach überqueren der Ziellinie direkt per SMS aufs Handy.
    Und im nächsten Jahr gibt es bestimmt per automatischer Wifi Zielkamera das Foto gleich dazu. Schon klasse was heute so geht.

    Ach ja, wenn sich einer auf einem meiner Fotos findet und wegen Ehepartner, Freund/in, Chef oder sonst einem Grund nicht gesehen werden will, nicht gleich klagen. Email reicht und das Foto wandert in den Papierkorb.

    Mit sportlichen Grüßen
    Wolfgang


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  1. […] bringt es auf den Punkt -Einer von uns-. Aber vielleicht kommen ja bald "Leute", "Medien" etc. auf den Gedanken "Läufer" sind depressiv, […]

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