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Laufen – eine Trendsportart?

So, Jun 5, 2016

Schnipsel

Laufen – eine Trendsportart?

In der ZEIT erschien im Mai unter dem Titel „Triumph der Verbissenheit“ ein Artikel, der sich mit dem Laufen beschäftigt. Wie so oft bei solchen Texten in großen Medien frage ich mich, ob der Autor tatsächlich über die Sportart schreibt, die mir soviel bedeutet.

Woran liegt das eigentlich, dass Texte über das Laufen so oft entweder eine leicht verstrahlt wirkende Liebeshymne oder eine „No Sports“-Polemik werden? Schon bei den ersten Sätzen weiß man, zu welcher Gruppe der ZEIT-Artikel gehört:

Jetzt laufen sie wieder. Spindeldürre Typen in durchnässten Trikots. Junge Frauen mit neonbunten Kniestrümpfen, am Oberarm das Smartphone. Sie rennen durch Parks, durch Wälder oder, wenn’s sein muss, 15-mal um das heimische Wohngebiet. Es ist wieder Marathonsaison.

 
Es entspricht scheinbar dem Klischee, dass Läufer „spindeldürr“ sind. Sind sie aber nicht. Ich wohne in Frankfurt, einer der Städte, die der Autor später noch besonders ins Visier nimmt. Würde ich eine Statistik über die Figuren der Läufer anfertigen, die mir täglich begegnen würde ich sagen, dass etwa 10% dünn sind. Dann käme eine recht große Gruppe athletischer Läufer, Leute, denen man ansieht, dass sie diverse Sportarten betreiben. Dann kommt eine nochmals große Gruppe „Normalos“, Menschen mit deutlichem Bauchansatz oder einem kräftigen Popo. Und zum Schluss gibt es noch einige unübersehbar übergewichtige Kämpfer mit roten Backen und Laufschritt im Walkingtempo. Ich habe keine Ahnung, wie der Autor auf die Idee kommt, Läufer wären asketische Klappergestelle.

Als ich den zweiten Absatz lese, merke ich schon, wie meine Haut sich zu ersten Unreinheiten formt.

Bis November wird kaum ein Sonntag vergehen, an dem nicht die Ausfallstraßen irgendeiner Großstadt durch Gitter und Gaffer versperrt sind.

 
Ich versuche, den Ausdruck „Gaffer“ besser nicht zu kommentieren, sonst werde ich gallig. Aber das mit den Ausfallstraßen – das ist aber auch ärgerlich. Die gehören doch vom Amtswegen den Autos! Freiheit ist die Freiheit, Sonntags jederzeit dorthin zu brettern, wo man will! Als Autofahrer hat man praktisch das gesetzliche Recht dazu. Was zählt schon das Interesse von 20.000 Menschen, wenn ICH mit meinem Auto die Straße benutzen möchte? Ja, da hatter aber auch Recht, der Herr Daniel Erk.

Dann steht man da und starrt auf diesen nicht enden wollenden Fluss an joggenden Menschen. Der Anblick könnte etwas Meditatives haben. Tatsächlich wirken die Läufer vor allen Dingen: verbissen.

 
Hm. Wenn ich einmal hochrechne, würde ich sagen, dass ich in meinem Leben bereits über 50 Stunden als Gaffer an Marathonstrecken verbracht habe. Ich stehe jedes Jahr in Frankfurt und sehe den Läufern zu. Der Begriff „verbissen“ würde mir als Beschreibung meiner Eindrücke nie einfallen. Er passt auch gar nicht zum Marathon. Durchbeißen, ja das muss man sich manchmal, wenn man gerade ein Tief hat. Auf die Zähne beißen, wenn es weh tut. Ohne Biss kommt kaum ein Marathonläufer ins Ziel. Ich wüsste auch nicht, wie man seine Bestzeit knacken könnte, wenn man 42 km mit einem Liedchen auf den Lippen läuft. Aber stimmt, Bestzeiten sind ja in den Augen von Herrn Erk ohnehin nichts.

Spindeldürre und verbissene Läufer beim Marathon

Spindeldürre und verbissene Läufer beim Marathon


 

Und neu ist auch, wie groß der Andrang bei den großen Marathonläufen ist.

 
Laut Statista hatten wir im Jahr 2005 150.515 Marathon Finisher in Deutschland, im Jahr 2013 waren es 107.000. Danach ging es langsam wieder bergauf, aber von einem neuen Andrang kann nicht die Rede sein. Als Läufer wissen wir, dass einige Läufe hoch in Kurs stehen, dafür wieder andere an Beliebtheit verlieren.

Wie um Himmels willen konnte das passieren? Wie wurde aus dem herrlich unmodischen Waldlauf eine hippe Trendsportart?

 
Ich persönlich bin bekanntermaßen eine großer Fan des „herrlich unmodischen Waldlaufs“. Den gibt es auch immer noch. Zusätzlich gibt es eine Menge neue „Fun-Veranstaltungen“. Ich muss die nicht alle mögen. Aber sie bringen Leute auf die Beine und die haben Spaß dabei. Das ist mir persönlich lieber, als wenn ich mir im Wald einen darauf trommeln kann, dass ich zu einer auserlesenen Elite gehöre. Oder zu einer aussterbenden Spezies .

Wenn Laufen etwas nicht ist, dann eine Fun-Sportart. Was natürlich weder die Sportartikelhersteller noch die Fans davon abhält, Laufen exakt so zu inszenieren. „Run Fleet“ heißen die Laufgruppen, „Berlin Braves“, „Run Pack“ oder „Tide Runners“, und wenn man abends in den angesagten Vierteln von Hamburg, Berlin oder Köln vor einer Bar sitzt, kann man diese kleinen Grüppchen durch die Straßen hasten sehen.

 
Ich bin froh, dass Läufer nicht Herrn Erk fragen müssen, um zu erfahren, was laufen ist oder nicht ist. Ganz offensichtlich macht es den Leuten „Fun“. Ich bin jetzt allerdings ein bisschen verwirrt. Was ist es denn nun – verbissen oder Fun? Und wie sollten sich Lauftreffs denn sonst nennen? „Lauftreff Hamburg“? „Ausdauersportfreunde Berlin“? „TrimmTrab-Fans Köln“? Wäre das dröge genug, damit es dem Bild des Autors von Läufern wieder entspricht? Diese Lauftreffs haben sich gebildet, weil ihre Teilnehmer sich im Turnhallenmief und Leistungsstress eben genau nicht wohl fühlen. Sie wollten einfach nur miteinander laufen. Jeder sollte dazu kommen können, auch Langsame und Anfänger. Wo genau ist das Problem?

Also wird die Funktionskleidung für Läufer mittlerweile in hippen Geschäften der großen Städte angeboten – in den Farben der Saison.

 
Dass ich nicht weiß, welche hippen Geschäfte er meint, könnte daran liegen, dass es in Frankfurt so herzlich wenige hippen Geschäfte gibt. Und die haben keine Funktionsbekleidung. Dass Funktionskleidung ernsthaft in den Farben der Saison angeboten wird, wäre mir neu. Dass sie modisch und modern ist, ist sogar mir aufgefallen. Zum Glück. Zum Glück müssen wir nicht mehr herumlaufen wie Dorfdödel, nur weil wir laufen. Ich wünsche mir die Zeit der Steghosen und sackartigen Männershirts, die wir Frauen früher trugen, nicht zurück.

Eine Umfrage unter den Teilnehmern des Marathons in Frankfurt am Main belegte vor ein paar Jahren, dass mehr als ein Drittel der Teilnehmer Führungskräfte waren. Fast ein Sechstel der Marathonläufer waren sogar Topmanager. Und: Die Läufer mit einem Jahreseinkommen von mehr als 500 000 Euro gehörten zu den schnellsten Teilnehmern und waren im Schnitt 16 Minuten schneller als die Vergleichsgruppen.

 
Frankfurt ist eine Bankenmetropole mit knapp 75.000 Beschäftigten in der Finanz- und Versicherungsbranche. Über 652.000 Menschen arbeiten in dieser Stadt, ist es da wirklich so erstaunlich, dass hier die Anzahl der Manager besonders hoch ist? Und ist es wirklich so verblüffend, dass beruflich erfolgreiche Menschen besonders gut in der Lage sind, ihr Training diszipliniert anzugehen, ihre Ziele zu verwirklichen?

Verbissene Atmosphäre beim Frankfurt Marathon


 

Und genau das ist das Problem mit den gehetzten Menschen in den Parks. Sie rennen nicht zum Ausgleich, nicht zur Erholung oder zur Ertüchtigung. Sie rennen, man kann es nicht anders sagen, tatsächlich um ihr Leben.

 
So, das ist also das Resümee. Während zuvor alles munter durcheinander geworfen wurde. Trend, Fun, City-Lauftreffs, Manager. Buzz-Words, die immer Wasser auf die Mühlen all derer sind, die sich nach der guten alten Zeit sehnen. Kulturpessimismus kommt in der ZEIT einfach immer gut.

Natürlich würden auch mir Dinge einfallen, die ich an Läufern kritisieren könnte. Die haben aber nichts mit hübschen Klamotten oder Fun-Läufen zu tun. Mich würde die Zahlen-Fixiertheit stören, die Gadgets verursachen. Ich mache mir manchmal Sorgen, dass Menschen eher ihrer Uhr vertrauen, als ihrem Körpergefühl. Dass sie verlernen zu hören, was ihnen der Körper sagt. Dass man trinkt, weil es eine App sagt und nicht, weil man Durst hat. Dass die Elektronik zu stark Besitz von uns ergreift. Darüber könnte man als Läufer viel schreiben.

Herr Erk hätte aber auch ein Wort verlieren können über die vielen Lauftreffs, die in diesen Tagen Flüchtlinge einladen oder gar eigens dafür gegründet wurden. Er hätte schreiben können über die starken Seiten des Social Running wie den Wings for live World Run, bei dem 6,6 Millionen Spendengelder gesammelt wurden. Auch das ist das „neue“ Laufen.

Eine neue Leistungsbesessenheit, die zu immer mehr und verbisseneren Marathonläufern führt, kann ich beim besten Willen nicht feststellen. Im Gegenteil: Für immer mehr Läufer zählt das Gemeinschaftserlebnis. Der Rennsteiglauf ist gewiss nicht der größte Kultlauf Deutschlands, weil man dort so gut verbissen hetzen kann. Sondern weil man dort lacht und leidet und scheitert und siegt. Gemeinsam.

Die Zeiten ändern sich. Deswegen haben Lauftreffs englische Namen, Frauen laufen im bunten Kleid, muss das Smartphone für die Selfies beim Laufen dabei sein. Das kann man gut oder schlecht finden. Aber aufhalten oder verändern kann man es gewiss nicht.

Eines aber scheint sich nie zu ändern. Es gibt einen hämischen Vorwurf an alle leistungsorientierten Läufer, den es schon immer gab. Schon in den 1970ern, zu Zeiten des guten alten Waldlaufs. Es ist der überhebliche Vorwurf, der Läufer liefe vor etwas davon oder, in seiner extremsten Form, gar um sein Leben. Egal, wie und wo er läuft, es scheint, als könnte es der Läufer dem verständnislosen Autofahrer einfach nicht recht machen.

 

Bilder:

clindstedt

Frankfurt Marathon 2010 , CC BY-NC 2.0

httpss://www.flickr.com/photos/cu2nite/albums/72157625156264823

Stephen Topp

London Marathon CC BY-NC 2.0

httpss://www.flickr.com/photos/mrtopp/albums/72157617306948259

Tomasz Dunn CC BY- 2.0

httpss://www.flickr.com/photos/tdd/

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12Antworten um “Laufen – eine Trendsportart?”

  1. Mausflaus Says:

    das mit der hippen funktionskleidung stimmt schon; sowohl primark als auch h&m, tkmaxx, also richtige tussi-läden haben bunte sportklamotten in vielen ausführungen, auch spezielle läufersachen. ich finde das toll; hab da schon einige gute sachen gefunden. ist nicht so qualitativ und funktional wie cmp, aber fürs normale joggen reichts. und grad beim draußen laufen ist „schreiend bunt“ nicht verkehrt, ich sag nur autofahrer…

  2. Frauschmitt Says:

    @Mausflaus Ich glaube, wir haben eine unterschiedliche Auffassung von Hippness. 😀 Aber H&M hatte schon vor über 10 Jahren Funktionsklamotten. Das wäre jedenfalls nichts, was man aktuell besonders erwähnen müsste.

  3. Sternenguckerin Says:

    Super Konter!
    Applaus!

  4. Wiesel Says:

    Tiptop auf den Punkt gebracht.

    Wusste gar nicht, dass ihr in Frankfurt jeden Sonntag die Ausfallstraßen für Läufer sperrt 😉

  5. Lena Says:

    Wunderbar – was hab ich bei deinen Worten gegrinst :)!

  6. Sven Says:

    Hatte den Artikel auch gelesen und mich an ähnlichem gestört,(eher hat es mich irritiert).

    Wo, wenn nicht in Parks sollen die „Stadtläufer“ den unterwegs sein? Auf den Ausfallstraßen? Klar, dass sich die Läufer dort sammeln und es so aussieht, als würde jetzt jeder Depp laufen. (Aber warum soll er nicht dürfen – Beim Fußball fragt ja auch keiner nach.) Bei mir auf dem Land ist es ein voller Tag, wenn ich beim Laufen mehr als einer Person begegne, die auch läuft. Soviel zu Massen.

    Wie bei Dir hat mir der integrative Aspekt des Laufens gefehlt. Sei es die Flüchtlinge, die herzlich in den Lauftreffs aufgenommen warden, oder für Lau beim ein oder anderen Stadtlauf mitmachen dürfen. Und dass mit Begeisterung tun. – Leider sind sie auch ziemlich schnell, was meine Platzierungen verhagelt.
    Oder dass bei kleinen Stadtläufen auch Gruppen aus den benachbarten Sozialeinrichtungen mitmachen, die alles andere als verbissen sind. Sondern einfach nur genießen bei toller Stimmung unterwegs zu sein und begeister angefeuert zu werden.

    Um es kurz zu machen: Danke für diesen tollen Artikel den zu lesen mir viel Spaß bereitet hat.

  7. Markus Says:

    Was Sterneguckerin sagt! Hervorragende Antwort! Danke Dir!
    Ich freue mich übrigens auf all die Gaffer, die mich in FFM im Oktober über die Ziellinie gaffen…

  8. A. Kohlmann Says:

    Ach, Daniel Erk, Experte auf ALLEN Gebieten, die Gesellschaft, Politik, Sport, Business zu bieten haben:
    https://www.business-punk.com/author/daniel-erk/

    In Herrn Erks Talentevielfalt macht sich das Elend der Multitalente bemerkbar – von allem etwas und in nix perfekt.

    Vielleicht schreibt er ja mal über Fußball und erkennt dabei?: Was gibt es Blöderes? Zuschauen!

  9. Bernd Says:

    Tach,

    ach Gott, das ist nun mal eine Polemik. Die soll provozieren und anscheinend hat sie bei einigen ja auch in´s Schwarze getroffen. Ich selbst (Jahrgang 1960 und seit ca. 30 Jahren Dauerläufer) habe mich nicht angesprochen gefühlt, sondern konnte über die eine oder andere Formulierung schmunzeln. Man sollte das nicht so ernst nehmen.

    Mit laufenden Grüßen

    Bernd

  10. claudia Says:

    ach gotttttt – danke für den Link zu dem artikel, der ist sooo platt geschrieben, weiß gar nicht, wie so was sinnbefreites platz und raum in der ZEIT bekommen kann …

    du, FRAUSCHMITT, hast die richtigen (und lustigen…) worte gefunden, ansonsten kann man getrost diesen herrn erk und seine ergüsse links liegen lassen, vertane zeit, sich mit sowas zu beschäftigen …

    wünsch euch leichtfüßiges weiterlaufen, egal ob im wald oder stadtpark … mit oder ohne uhr/app/xyz … auf jeden fall VIEL SPASS dabei ;o)

  11. Selina Says:

    Echt interessanter Beitrag! Musste an vielen Stellen grinsen 🙂 Ich finde, dass es heute schon etwas übertrieben ist mit den Sport klamotten. Gefühlt wird man ohne bestimmte bekannte Marken belächelt..
    Liebe Grüße aus Dortmund


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  1. […] hab ich eher wenig im Mai. Was ich richtig gut fand: einen Blogpost, in dem sich die Autorin zu Recht über einen absolut unreflektierten, oberflächlichen und […]

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