RSS

Das unbekannte Fluchobjekt.

Di, Mai 19, 2015

Schnipsel

Das unbekannte Fluchobjekt.

Vor einiger Zeit habe ich mal einen Beitrag über die Zukunft des Laufens geschrieben, ein Thema, dass mich sehr interessiert. Ich habe dabei meiner Fantasie freien Lauf gelassen, was ein großer Spaß war. Inzwischen haben sich viele Dinge schon wieder verändert und mit manchen Ideen lag ich bereits näher an der Wirklichkeit, als mir lieb ist. Eines habe ich damals jedoch ziemlich unterschätzt: Den allgemeinen Entmündigungstrend. Was wir als junge Menschen gehasst haben wie verrückt, suchen wir jetzt freiwillig und mit Freude: Wir lassen uns gern beobachten und überwachen und dann sagen, was wir tun und lassen sollen.

Wir lassen uns erzählen, wie viele Schritte wir heute gegangen sind und wie viele es eigentlich hätten sein sollen. Wir lassen uns per App ermahnen, dass wir doch bitteschön jetzt ein Glas Wasser trinken sollen, weil wir noch viel zu wenig getrunken haben. (Wozu mir nur immer diese zauberhafte Nummer von Michael Niavarani einfällt, die ich hier unbedingt verlinken muss). Apps messen unseren Puls, tracken unseren Blutdruck und unsere zugeführten und verbrauchten Kalorien. In der Entwicklung sind Teller, die bewerten, was wir uns auftun und uns ermahnen, wenn es das Falsche ist. Statt Empörung über solche Bevormundung überwiegt oft die Faszination darüber, was technisch möglich ist.

Heute morgen allerdings ließ mich eine Meldung der amerikanischen Runner’s World aufhorchen. Es ging dabei um die Frage, ob Drohnen Menschen künftig dazu motivieren könnten, laufen zu gehen. In ersten Tests wurde die Begleitung von Flugdrohnen beim Laufen als sehr angenehm empfunden. Eine Begleitung mit Potential: Drohnen könnten den Weg bei unbekannten Strecken weisen, unterwegs tolle Fotos schießen und den Pacemaker geben. Es zeigt sich, dass das fliegende Ding als eine Art Laufkumpan empfunden wird – ein Unterschied zu den Apps auf dem Smartphone. Die Drohne, so heißt es im Artikel, könnte durchaus bei Laufveranstaltungen die verschiedenen Pacemaker ablösen. Und welche Videos könnte es hernach von uns geben, vom bunten Feld in schönster Landschaft!

© strockr - fotolia.de

© strockr – fotolia.de

 

Wir könnten also wieder mal ein Stück Eigenverantwortung abgeben. Wir müssten nicht einmal mehr auf ein Display schauen, wir könnten einfach stumpf einer Drohne hinterherlaufen, sie würde uns sagen wohin und wie schnell. Natürlich hätten wir das zuvor mit der Drohne abgesprochen. Das also soll Menschen zum Laufen motivieren. Und wäre es nicht auch viel sicherer? Alleinlaufende Frauen hätten endlich einen Begleiter, der mögliche Angreifer nicht nur von vorneherein auf Abstand hält, sondern im Zweifelsfall auch gleich erkennungsdienstlich vorbehandelt. Endlich ist die Welt sicher. Mit einem Bodyguard aus der Luft. Oder etwa nicht? Nun ja, wessen Drohne es ist, die mir gerade von oben in den Ausschnitt filmt, weiß ich natürlich nicht so genau, wenn da viele Menschen sind. Und viele Drohnen. Wem gehört eigentlich der Himmel über mir, wenn ich laufe? Wo eben noch Vögel waren, hören wir bald das Surren von fliegenden Objekten. Bislang haben mich die Apps und Hilfsmittelchen der anderen kaum tangiert. Das könnte bald anders werden.

Wenn es überhaupt eine Kunst gibt am Langstreckenlauf, dann ist es die, in sich hineinzuhorchen und das, was man in sich hört, in einen Lauf zu verwandeln. Zu spüren, wie schnell man laufen sollte und könnte. Natürlich können Pacemaker helfen, Trainingsziele zu erreichen und Siege zu erringen. Aber müssen uns jetzt künstliche Tempomacher künftig motivieren, überhaupt zu laufen, weil wir es alleine nicht mehr schaffen?

Bislang war der Himmel über uns weit, wir waren unbeobachtet beim Laufen. An den Fotopoints haben wir einmal kurz die Lefzen hochgezogen, dann konnten wir uns selbst unter Tausenden unbehelligt fühlen. Was wäre, wenn Veranstalter unablässig Kameras über unseren Köpfen sausen lassen? Brauchen wir später die Bilder von oben? Sind nicht unsere inneren Bilder nicht ohnehin viel wertvoller? Brauchen wir als erwachsene Menschen wieder Schritt und Tritt-Begleitung? Wie sehr lassen wir uns künftig von einer Technik begeistern, die keine Privatsphäre mehr kennt, die Grundstücksgrenzen überwindet und uns von oben beäugt? Welche Geräusche wollen wir künftig beim Laufen hören? In welcher Welt wollen wir laufen und leben?

Vielleicht sollte ich schnell rausgehen und laufen, so lange es noch so möglich ist, wie ich es mag: Unbeobachtet und frei, wohin und wie schnell ich Lust habe, ohne eine surrende Dauerselfiemaschine über meinem Kopf.

12Antworten um “Das unbekannte Fluchobjekt.”

  1. Thomas Says:

    Danke, dass Du so ein aktuelles Thema aufgegriffen hast. Ich stimme Dir fast komplett zu, bin aber auch auf die technische Entwicklung und ihre Vorteile (!) gespannt. Zuerst brauchte ja auch keiner Pulsuhren mit GPS. Dann brauchte sie jeder unbedingt und für alles. Jetzt läßt man sie auch schon mal zuhause, weil verstanden wurde wozu sie gut sind und wozu nicht. Ich vermute, dass es eine ähnliche Entwicklung mit den ActionCams und Drohnen geben wird.

  2. Chris Says:

    Ich denke, irgendwann werden Maschinen sowieso das Ruder komplett übernehmen und man geht dann abends eine Runde mit Kollege Robi laufen;-)
    Bis dahin sollten wir das Laufen so pur und einfach wie möglich noch genießen.

    PS: laufe aber eigentlich nie ohne meine GPS-Uhr;-)

  3. Eddy Says:

    Wie aktuell das Thema tatsächlich ist, siehst Du (auch) hier: httpss://www.lily.camera/ (watch video)

  4. Michael Says:

    hehe, da war der Eddy schneller mit dem Link.
    Das Teil habe ich gesehen und in mir regte sich tatsächlich der „muss ich haben“-Reflex des Kinds im Manne… Bis ich den Preis gesehen habe…

    Aber mal im Ernst: ich wundere mich immer wieder über mich selbst, was ich freiwillig von mir preisgebe… Irgendwie faszinierend und beängstigend zu gleich. Wie ein Unfall… Man will nicht hingucken… Muss es trotzdem…

    Und irgendwann werden die Teile bestimmt auch bezahlbar… Testen würd ich das echt gerne mal…

  5. Frauschmitt Says:

    Danke für den Link, Eddy! Ich bin wirklich sehr technikbegeistert und liebe Gadgets, aber dieses Ding da finde ich gruselig. Mir würde es vollkommen genügen, wenn mir mein Hund folgt. 🙂

  6. claudia Says:

    hey frau schmitt, ich komme sofort mit dir mit, solange wir noch oben ohne sind!!!

    ich mag übrigens hellblaue oder grüne luftballons, wo eine zielzeit draufsteht und darunter ein mensch, der mit mir zusammen hechelt/schwitzt oder stöhnt …

    ich muss mich auch nicht dauernd betrachten (lassen), und schon gar nicht ab einer gewissen anzahl an kms in den beinchen.

    meine gps-uhr mit rückwegpfeil (weil ich ein voller Orientierungsdödel und in fremder Pampa mir damit schon öfter hilfreich) liebe ich jedoch sehr J

    liebe grüße aus einem frisch-windigen berlin … und danke für den sehr sehr interessanten bericht auch!
    claudia

  7. claudia Says:

    PS: kann dir denn dein hund inzwischen folgen?

  8. Ralf Says:

    Mir ging es mit der Lily Cam genau wie Michael.
    Erster Gedanke: Haben… 🙂
    Zweiter Gedanke: Wie viele coole Moves machst Du eigentlich beim Laufen? Und wie viele davon sind es dann wert, gefilmt, respektive veröffentlicht zu werden???
    Nach Deinem Artikel kam ein weiterer Gedanke hinzu: Was ist, wenn bei einem Lauf mehr als nur einer so eine Drohne mitbringen? Wer koordiniert den Luftraum? Brauchen wir künftig zum Laufen einen Helm, Gehörschutz und Protektoren? Gibt es nach Bahnwettkämpfen, Volksläufen, Halbmarathon-/Marathon-/Ultraläufen künftig auch Drohnen-Koordinationsläufe?
    Fragen über Fragen mit viel Potential für die Trendsetter im Bereich Fun- und Actionsport, wie mir gerade auffällt…

    Nein, da laufe ich derzeit doch lieber noch meine Runden alleine im Wald.

  9. Frauschmitt Says:

    Hallo Claudia,
    meistens ist es wichtiger, dass ich ihm folgen kann. 🙂 Nein, mit mir Laufen kann Panini noch nicht. Sie ist sozusagen noch in der Reha. Aber sie kann schon wieder eine satte Stunde mit mir umherstapfen, wir arbeiten also weiter dran.
    Viele Grüße nach Berlin!

  10. Robert Says:

    Hallo,

    zumindest in Deutschland bleiben wir wohl vorerst von Lily & Co. verschont. Denn meines Wissens sind nach aktueller Gesetzeslage solche völlig autonomen Drohnen, in deren Flugverhalten der Mensch nicht eingreifen kann, verboten.

    Mit sportlichen Grüßen
    Robert

  11. claudia Says:

    Oh, Panini ist ja ein lustiger Name J Und ne gute Stunde durch zusammen die Gegend laufen ist doch ein schöner Erfolg nach den vielen Startschwierigkeiten bei ihr …


Trackbacks/Pingbacks

  1. […] mit FrauSchmitt“ macht sich Gedanken ums Fitnesstracking und vor allem über ein US-Projekt, bei dem Drohnen als motivierende […]

Einen Kommentar schreiben

* Die Checkbox für die Zustimmung zur Speicherung ist nach DSGVO zwingend.

Ich akzeptiere

// /* */