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Ich messe, also bin ich.

Fr, Mai 10, 2013

Schnipsel

Ich messe, also bin ich.

Als mich neulich eine Laufanfängerin nach einer guten GPS-Uhr fragte, kam ich ins Grübeln. Nicht wegen der Antwort. Sondern wegen meiner eigenen, düsteren Vergangenheit. Wie, um alles in der Welt (fragte ich mich), habe ich damals gewusst, wie weit ich laufe? Die Antwort ist ebenso finster wie meine ganze, von Entbehrungen gekennzeichnete Laufanfängerzeit: Ich wusste es gar nicht. Ich habe jeden Borkenkäfer auf der Strecke mit Namen begrüßen können, so vertraut war sie mir, aber ich wusste nicht, wie lang sie war. Nur dass ich zwischen 37 und 42 Minuten dafür brauchte, das wusste ich. Eines Tages dann begann das Abenteuer der Vermessung: Ich fuhr zu einer gekennzeichneten Strecke im Stadtwald und folgte ihren Markierungen. So erfuhr ich, dass ich 5 km laufen konnte. Bei meinem ersten Volkslauf stellte sich dann heraus, dass ich 5 km in 31 Minuten laufen konnte. Das reichte mir als Maßstab für alles.

Als wäre das nicht schon finster genug, kaufte ich mir eine Pulsuhr. Etwa zwei Wochen lang ging sie bei mir unter diesem Namen durch, danach war sie Elektroschrott. Ich habe sie nicht mehr benutzt, weil mich alles an ihr störte. Sie engte mich ein, ich kam aus dem Tritt, wenn ich auf ihr Display starrte, das mir sagte, dass ich in einer falschen Zone lief. Und sie piepte und blinkte und wollte, dass ich langsamer laufe. Ich glaube, sie hasste das Laufen mit mir.

Danach lief ich 10 Jahre lang mit einer Casio Laufuhr, auf deren Display ein kleines Pixelmännchen zu laufen begann, wenn man die Stoppuhr startete. Das Männchen war vollkommen nutzlos, aber so lief ich nie allein. Bei Volksläufen schaute ich bei jedem Kilometer auf die Uhr, aber ich speicherte nie eine Zwischenzeit. Wenn ich zu schnell angegangen war, wusste ich das später auch so und es war ein sehr nachhaltiges Wissen, ganz ohne Detailanalyse.

Würde ich heute mit dem Laufen beginnen, würde ich mir wahrscheinlich bald eine GPS-Uhr kaufen. Nach dem, was ich eben geschrieben habe, klingt das vielleicht seltsam. Aber ich finde kleine technische Geräte toll und würde kaum lange widerstehen können. Man will doch wissen, wie lange man läuft! Wie schnell! Und wo! Mit welchem Puls! Und wie viel Prozent der maximalen Frequenz! Und bei wie viel Grad! Und wie viel Prozent Steigung! Und welchem Höhenunterschied zwischen höchstem und tiefstem Punkt! Ehe man sich’s versieht, reißt es einen hinfort. In eine Welt der Zahlen. Und es werden immer mehr werden. Moderne Gadgets werden unseren Blutdruck, unsere Schrittfrequenz, unseren Flüssigkeitsbedarf, unsere Körpertemperatur und vieles mehr messen. Wir kommen vom Laufen, der ursprünglichsten Art der Fortbewegung, die schon unseren Urvorfahren das Überleben sicherte und starren hernach auf einen Bildschirm, der aussieht, als hätten wir gerade unsere Steuererklärung gemacht. Was fangen wir damit an? Verbessern wir die Qualität unseres Laufs? Werden wir schneller? Mein Orientierungssinn ist das reine Elend. Und ich liebe es, auf einer Landkarte zu sehen, wo ich überhaupt war. Aber brauche ich all das andere wirklich?

© RICO – Fotolia.com

Ich bin froh, dass ich im technischen Pleistozän angefangen habe zu laufen. Dass ich lief, ohne zu wissen, wie weit. Es ist ein anderes Laufen und es ist schön, das zu kennen. Ich bin froh, dass mich Musik auf den Ohren stört, weil ich ganz da sein will, wo ich gerade bin, ich will nicht, dass mein Gehör woanders ist. Ich bin froh, dass ich mein iphone mitnehmen kann, um unterwegs Fotos zu machen, dass ich es aber nicht mitnehmen muss, damit mich eine App  unterwegs vermessen kann. Laufen mit GPS und co. gibt mir ein ganz neues Laufgefühl. Dabei hatte ich an dem alten gar nichts auszusetzen, das will ich bitteschön behalten. Ich will es genießen, mit High Tech am Arm zu laufen. Aber nie vergessen, worum es wirklich geht: Das Glück der Fortbewegung auf zwei Beinen.

3Antworten um “Ich messe, also bin ich.”

  1. Eddy Says:

    Ich lese gerade, dass ich leider viieel zu spät mit dem Laufen begonnen habe: das Pixelmännchen von Casio habe ich nie erleben können… *sigh* In allen anderen Punkten könnte ich Deinen Bericht 1:1 in meinen Blog übernehmen. Tu ich aber natürlich nicht 🙂

    Viel Spaß beim Laufen und schöne Grüße aus Bremen 😀

  2. Carsten S Says:

    Das sehe ich auch alles so. Ich benutze auch einigen technischen Kram, aber all denen, die ihn für nötig halten, möchte ich immer das Buch von Fixx als Gegenmittel empfehlen.

    Gruß

    Carsten

  3. daniel Says:

    Wie bei so vielen Dingen ist es wichtig, dass man die Kontrolle über die Sachen behält. Heutzutage braucht man eben nicht nur Medienkompetenz sondern auch noch Pulskompetenz, GPS-Kompetenz und Materialkompetenz.

    Wichtig ist doch, dass das Laufen dabei noch Spaß macht – egal wie viel Technik man mit sich herumschleppt.


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