
Es gibt so viel versteckte Schönheit, so viel verborgenes Gutes auf dieser Welt. Doch während das Schneeglöckchen, die Haselmaus oder das Fett in der Salami sich dezent zurückhalten, gibt es andere, die nach vorne springen und unablässig laut „Hallo! Hier bin ich! Seht mich an!“ rufen. Das macht nichts, wenn es sich um einen Magnolienbaum, einen Pfau oder eine Herrentorte handelt. Aber ausgerechnet unter denen, die sich exponieren, sind gelegentlich faule Eier. Läufern begegnen diese muffigen Hühnerprodukte derzeit besonders häufig in Form von Experten. Der Laufexperte scheint inzwischen so weit verbreitet zu sein, dass man sich durchaus Sorgen machen kann. Ist der Morbus Laufexpertus möglicherweise ansteckend? Könnte man etwa durch einen arglosen Besuch in einem Laufsportgeschäft am Ende gar selbst zum Laufexperten werden? Eins scheint gesichert: Es kann manchmal verdammt schnell gehen. Man läuft so mir nichts, dir nichts ein paar Monate vor sich hin und Pardauz! ist man Experte.
Und da Experten immer Botschaften haben, die möglichst viele Menschen erreichen sollen, schreiben Experten sofort ein Buch. Nun habe ich selbst ein Buch geschrieben. Expertentipps wird man darin aber vergebens suchen. Gelegentlich will mich jemand als Laufexpertin vorstellen – ich wehre mich immer so gut ich kann dagegen. Ich bin eine Hobbyläuferin. Ich habe in 14 Jahren viel Erfahrung in Volksläufen gesammelt. Und ich habe es in einem guten Jahr mit einer 1:41er Zeit im Halbmarathon auf eine für Hobbyläuferinnen meines Alters solide Bestzeit gebracht. Zu einer Expertin macht mich das aber noch lange nicht.
Nahezu jeder, der ein paar Jahre Lauferfahrung hat, entdeckt, dass er vor allem für eines zum Experten heranreift: für sich selbst. Er weiß, ob er vor dem Lauf Kaffee trinken kann, oder nicht. Wie viel oder wenig er vor dem Wettkampf essen sollte. Wie viele Ruhetage und wie viele lange Läufe er braucht, um beim Marathon gut durchzukommen. Wie viel, was und wann er am besten trinkt. Denn er hat all das ausprobiert und damit gute oder schlechte Erfahrungen gemacht. Er weiß aber auch: Es sind Erfahrungen, die er selbst machen musste. Denn was anderen gut bekommt, kann für ihn ein Grund sein, den Lauf abzubrechen. Und umgekehrt. Ein Läufer, der viel Erfahrung hat, ist mit Ratschlägen vorsichtig. Natürlich kann man sich gegenseitig Tipps geben, so wie ein Hobbykoch dem anderen empfehlen kann, die Zwiebeln mal etwas zu karamellisieren. Und dann gilt: Versuch macht kluch.

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Wenn man leistungsorientiert laufen will oder als Anfänger Orientierung sucht, kann man sich durch Tipps erfahrener Läufer (und die Betonung liegt auf „erfahren“) natürlich etwas Hilfestellung holen. Am Besten aber wendet man sich an die Leute, die als Trainer schon mit unzähligen Läufern gearbeitet haben. Die alle Läuferfehler kennen und nicht nur die eigenen. Die über viele Jahre hinweg gezeigt haben, dass sie es einfach können. Die etwas von Trainingsmethodik verstehen. Wen man dafür für geeignet hält, ist eine Frage der persönlichen Sympathie und Ausrichtung, zum Beispiel, je nach dem, ob man es mit dem Natural Running versuchen will. Man kann ja aber auch mehrere Bücher lesen und versuchen, sich eine Meinung zu bilden. Das wären Vorschläge dafür von mir. Bücher mit auffallend unspektakulären, geradezu langweiligen Namen:
Ich weiß beim besten Willen nicht, warum man sich eine seriöse Anleitung zum Laufen etwa von Achim Achilles erhofft, um den prominentesten (gar „Laufguru“ genannten) Hobby-Experten zu nennen. Es gibt tatsächlich Experten-Bücher von Hobby-Läufern, die seit 2009 laufen, das Irrsinnigste, das mir begegnet ist, ist das Buch einer Autorin die seit 2011 läuft. Es ist 2012 erschienen. Hier hat das Expertenvirus rasant zugeschlagen.
Nun kann ja jeder lesen, was er möchte und laufen, wie er will. Doch das Blitz-Expertentum kann auch leicht gefährlich werden. Etwa wie im Fall des überaus kuriosen „Running-Willi“, der einen Läufer bejubelte, der mit einem Infekt einen Wettkampf bestritt (nachzulesen in dem unterhaltsamen Willi-Watch-Blog „Flying Willi“). Da hört der Spaß wirklich auf.
Oder um es mal österlich zu sagen: Es gibt so viele lesenswerte Bücher von alten Hasen. Es ist ganz unnötig, die von den falschen Hasen zu lesen.
März 29th, 2013 at 15:32
Schön geschrieben! Könnte ich komplett kopieren und selbst in meinem Blog veröffentlichen.
Also jedenfalls den Teil, der den Experten betrifft. Für ein Buch reicht es bei mir dann doch nicht. 😉
März 29th, 2013 at 15:50
Da gibt es rein gar nichts mehr zu ergänzen. Treffender kann man das nicht formulieren! Hat da eine Expertin gesprochen? 😉
März 29th, 2013 at 17:28
Sehr guter Beitrag von unserer Laufexperten-Expertin! 🙂
März 29th, 2013 at 19:39
Frau Schmitt,
wie recht Sie doch haben! Wobei mich wundert, dass Du Beck empfiehlst, der ja auch durch Kurioses auffällt. Aber dieser Willi ist wirklich der Beste. Über den bin ich vor kurzem erst gestolpert. Grandios, wie er aus jeder eigenen Erfahrung oder auch nur Meinung eine große Erkenntnis macht. Danke daher für den Link zu dem Meta-Willi-Blog!
Gruß
Carsten
März 29th, 2013 at 19:58
Hallo Carsten,
ich weiß, dass die Trainingspläne nichts für jedermann sind. Ich finde allerdings ohnehin, dass man sich mehrere solcher Pläne ansehen muss, um ein Gefühl dafür zu bekommen, bevor man stur drauflos trainiert. Aber insgesamt ist es doch ein sehr nützliches Buch mit vielen guten und seriösen Tipps. Finde ich jedenfalls. Man wird aber ja auch kaum gleich mit dem Marathon anfangen, das Beck-Buch ist schon eher für Leute, die schon eine Weile laufen.
Grüße
Frauschmitt
März 30th, 2013 at 08:43
Bin ich froh, dass ich meinen Quälix Volker Kahle habe *freu*. Der beste Trainer, den ich mir wünschen kann, weil super viel Erfahrung und er kann wenn nötig perfekt umorganisieren, wenns mal nicht so klappt mit dem Trainingsplan.
Zu Achim Achilles: toller Typ, gute Tipps und einen Humor, auf den ich nicht verzichten möchte. Ersetzt aber nicht den persönlichen Trainer. ;0)
März 30th, 2013 at 20:19
Also Streuselkuchenexpertin bist du auf jeden Fall!
März 31st, 2013 at 06:16
Ein richtiger Experte sollte immer eine große Portion Selbstkritik und Selbstironie haben. Und deshalb ist Frau Schmitt die Lauf-Expertin schlechthin. Spitzentext mal wieder!
März 31st, 2013 at 18:50
Sehr passend zu Ostern mal die guten von den faulen Eiern zu trennen. DANKE! Bei Expertenbüchern bin ich eh immer vorsichtig und mir ist wichtig, dass der Autor auch nachweislich etwas vom „Fach“ versteht. Ich möchte ungern dafür „eine Marke sein“ verwenden, aber letztendlich ist es doch so: ist derjenige, der ein Expertenbuch schreibt, auch bekannt für sein Metier, dann glaube ich ihm/ihr eher, als wenn er plötzlich am Markt hochplobbt und mit seinem neuen Buch herumwedelt. Credibility nennt sich das wohl auf Neudeutsch.
Du bist durchaus eine Expertin für mich zum Laufen und vor allem zum Thema Wo-sind-die-besten-Volksläufe und Streuselkuchen^^, aber Deine Expertentipps heißen nicht so, sondern sind persönliche Tipps, die nicht unbedingt allgemeingültig sind. Der das-kann-aber-bei-dir-ganz-anders-sein-Disclaimer gehört mMn immer dazu – es sei denn, man ist ein Trainer, wie Du ja auch im Artikel schreibst. Ich finde es erschreckend und auch fast unverantwortlich, wenn jmd ein Buch schreibt nach 12 Monaten Laufen. Getoppt wird es wirklich nur noch durch das Running Willi-Ding, der tatsächlich ein Rad ab hat. Man verzeihe mir das offene Wort. Ich bin regelrecht erschüttert, wie weit manche Menschen gehen nur um Kohle zu machen.
April 1st, 2013 at 09:43
ich finde es gut, dass du dich nicht als Laufexpertin bezeichnest und trotzdem schreibst du über das Laufen… Viele gelernte Trainer entwickeln sich nicht weiter und bleiben bei ihrem alten Wissensstand stecken. Diese propagieren teilweise absoluten staatlich geprüften Schwachsinn. Trotzdem haben diese und jeder der sich zum Thema Laufen dafür berufen fühlt eine Berechtigung sich zu Äußern – ja sogar Bücher zu schreiben. Die Gurus haben Hochsaison und der Narzissmus blüht in voller Pracht. Abwerten und Kränkung dienen der persönlichen Aufwertung. LG
April 1st, 2013 at 12:51
Ein gut geschriebener Artikel. Ohne den Bezug zu RW gleich am Anfang zu nennen, bleibt der Leser welcher nicht im Stoff bez. des Themas steht bis zum Ende relativ unaufgeklärt und das finde ich gut und respektvoll. Der relevante Absatz ist der Dritte und Teile aus dem Vierten, ich selber Handhabe es so und Laufbücher neben allen anderen Dingen zusätzlich zu lesen, dazu fehlt mir einfach die Zeit und Geduld. Da das Laufen keine Wissenschaft ist und auch noch kein Studiengang dafür geschaffen wurde, sind Experten jeglicher Art auszuschließen. Das Buch ist in meinen Augen nicht einmal für Anfänger geeignet!
April 1st, 2013 at 14:37
Hallo Olaf (und andere, die sich noch für das Thema interessieren),
das Willi Buch war für mich ein herausragendes Beispiel. Aber es ging mir tatsächlich generell um das Thema des derzeitigen Experten-Overloads. Ich denke schon, dass es Menschen gibt, die mehr Wissen und Erfahrung auf diesem Gebiet haben und die sollten auch Bücher darüber schreiben. Mir hat es damals als Laufanfänger sehr geholfen und es hat mich auch motiviert, Laufbücher und die Runner’s World zu lesen. Und dann gab es noch das Forum „Laufen-Aktuell“, dass heute zur Runner’s World gehört. Da gab es auch viele selbsternannte Experten, aber die kriegten sofort eins auf die Mütze, wenn sie zu dick aufgetragen haben.
Könnt ihr eigentlich die eingeklinkten Bücher in dem Artikel alle sehen? Mein Firefox zeigt sie irgendwie nicht an – Safari schon.
Ostergrüße
Heidi
April 1st, 2013 at 14:46
Wird alles wunderbar angezeigt Firefox wie Chrome. Auch Dir, Frohe Ostern.
April 1st, 2013 at 15:09
Ich hatte mich auch zuerst gewundert, worauf der Doppelpunkt denn wohl verweist, habe die Amazon-Bücher-Links dann aber nach Ausschalten des Werbeblockierers und Neuladen sehen können.
Gruß
Carsten
April 2nd, 2013 at 00:01
Sehr amüsant aber leider auch wahr – Danke für den Artikel 🙂
Das schlimme bei „Experten“ dieser Art ist das man über sie zwangsläufig stolpert weil sie so „laut“ sind. Nicht jeder kann allerdings dann auch sinnvoll von unsinnig unterscheiden und das macht dieses Halbwissen gefährlich.
Laufende Grüße Wiesel
April 3rd, 2013 at 10:10
Hallo Frau Schmitt,
stilistisch gefällt mir der Beitrag unheimlich gut.
Zu Willi: Ich lese regelmäßig in seinem Blog. Teilweise unterhaltsam (ich fand es klasse, wie er Haile getroffen hat), aber oftmals nicht sehr fundiert. Ich habe an vielen Stellen das Gefühl, dass dem Leser unterschwellig aufgezwungen wird, obwohl dies ja nicht die Absicht sein soll, weil es ja allein Willis Erfahrung ist und nur für ihn richtig ist.
Indes bin ich mir nicht mehr so sicher, ob seine Produktests, inssbesondere von ADIDAS, noch objektiv sind. Es kann jedenfalls den Anschein machen, weil er, so wie es aussieht von diesem Sportartikelhersteller unterstützt wird.
LG
Daniel