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Laufschuhsymposium 2.0. Und jetzt?

Do, Feb 19, 2015

Schnipsel

Laufschuhsymposium 2.0. Und jetzt?

Wie im vergangenen Jahr war ich auch dieses Mal dabei, als Runner’s World zu einem Laufschuhsymposium lud – um mit Herstellern, Händlern und echten Biomechanik-Nerds darüber zu diskutieren, wo die Reise hingeht in Sachen Laufschuhe. Blogger sind bei dieser Veranstaltung eher sowas wie die Kirschen auf der Schwarzwälder Kirschtorte. Man braucht sie nicht unbedingt, aber sie sehen nett aus. Auf dem Bild thronen Hannes, Henrik und ich zwar nicht auf einem Sahnehäubchen aber ich finde uns irgendwie süß.

Laufschuhsymposium 1

Es ist nicht ganz einfach wiederzugeben, welche Erkenntnisse denn nun genau von diesem Laufschuhsymposium bleiben. Nicht, weil es nichts Erhellendes gegeben hätte, im Gegenteil. Aber bei der Fülle der Informationen kann man unterschiedliche Schwerpunkte setzen, je nachdem, worauf man sein Augenmerk legt. Ich kann also nur berichten, was für mich ganz persönlich wichtig und spannend war.

Im vergangenen Jahr war Brooks als Hersteller sehr präsent, dieses Mal wollten neben Brooks auch die Schweizer Jungs von On und die chinesische Marke 361° zeigen, dass sie beim Laufschuh der Zukunft ein Wörtchen mitzureden haben. Um Skeptikern vorweg zu antworten – nein, als Verkaufsveranstaltung ist das Symposium nicht gedacht, auch wenn das nicht jeder verstanden hat. Doch dazu später.

Zunächst betrat mit Benno M. Nigg ein echter Laufschuhfreak die Bühne. Der Schweizer, der in Kanada lebt, beschäftigt sich bereits seit den 1980er Jahren mit Laufschuhen, es scheint keine Studie zu geben, die er nicht kennt. In seinem Vortrag geht es um eine Art Gretchenfrage der Laufschuhentwicklung: Welche Eigenschaften eines Laufschuhs haben wirklich einen Einfluss auf die Verletzungshäufigkeit? Ich versuche mal, die Erkenntnisse aus seinem Vortrag mit dürren Worten wieder zu geben. Wie man sich leicht vorstellen kann, hat Benno Nigg alles untermauert, vernünftig hergeleitet und schlüssig dargestellt.

1. Dämpfung hat keinen Einfluss auf die Verletzungshäufigkeit

2. Der Impact (die Aufprallkräfte) haben keinen Einfluss auf die Verletzungshäufigkeit

3. Moderate Überpronierer sind NICHT häufiger verletzt als Neutralläufer, im Gegenteil

4. Starke Überpronierer gibt es herzlich wenige, daraus folgt

5. Überpronation ist bei der Suche nach den Verletzungsursachen zu vernachlässigen

6. Einlagen haben durchaus einen Einfluss auf die Verletzungshäufigkeit, daraus folgt

7. Dämpfung ist dafür nur dann relevant, wenn sie möglichst nah am Fuß erfolgt

8. Welche Art der Einlage (z.B. hart oder weich) als komfortabel empfunden wird, ist individuell sehr verschieden

9. Die Art der Laufschuhe hat einen großen Einfluss auf die Muskelaktivität. Diese Effekte sind individuell verschieden

10. Wenn Dämpfung und Überpronation nicht der Schlüssel zum Glück sind, was ist es dann?

11. Jeder Läufer hat einen individuell bevorzugten Bewegungsablauf. Dieser hat einen Einfluss darauf, ob der Läufer sich in einem Schuh wohl fühlt oder nicht.

12. Der Schuh, der dem Läufer ermöglicht, in seinem individuell bevorzugten Bewegungsablauf zu bleiben, wird auch der sein, der ihn am besten vor Verletzungen schützt.

13. Es wird auch der Schuh sein, den er mit großer Wahrscheinlichkeit als komfortabel empfindet.

14. Bleiben zwei Fragen: Kann man den individuellen Bewegungsablauf messen? Kann man Komfort als Kriterium heranziehen und was ist das überhaupt?

Laufschuhsymposium 2

Die Sache mit dem individuell bevorzugten Bewegungsablauf habe ich ja im vergangenen Jahr schon mal gehört, das half mir sehr, all dem zu folgen. Die Punkte 6,7 und 8 nahmen im Vortrag von Benno Nigg keinen besonderen Raum ein, aber ich fand sie besonders spannend. Und ausgerechnet diese Punkte sollten für den Rest des Tages keine Rolle mehr spielen. Es war, als wären sie nie erwähnt worden. Ich habe mich jedoch gefragt:

Individualität ist scheinbar ein wesentlicher Faktor. Jedes Kniegelenk zeigt ein individuelles Muster, wenn es gebeugt wird. Was dort wann wie und wie stark wohin rotiert, scheint individuell zu sein. Bewegungen sind individuell. Die Antwort müssten folgerichtig maßangefertigte Laufschuhe für jeden Läufer sein. Das ist weder machbar, noch haben Laufschuhhersteller oder Läufer daran Interesse. Aber: Wäre es nicht möglich, einen Laufschuh mit Hilfe der unterschiedlichsten Einlagen individuell zu konfigurieren und somit seinen Komfort zu steigern und dem individuellen Bewegungsablauf anzupassen? Nicht die Einlagen, die wir kennen, sondern bessere, individuellere, die die Laufschuhhersteller passend zum Schuh und zum Läufer fertigen?

Laufschuhsymposium 3

Nachdem Urs Weber von Runner’s World einen kleinen Einblick gab in die laufende Leserschaft des Magazins (die durchschnittlich 41 km/Woche läuft, 2 – 3 Schuhe pro Jahr kauft und erfreulicherweise zu 85% in Laufsportgeschäften einkauft), kam der zweite Biomechanik-Freak zu Wort.

Prof. Gert-Peter Brüggemann, ebenfalls auf Du und Du mit Laufschuhen und ihrem Sinn und Zweck präsentierte etwas recht Ähnliches wie im letzten Jahr, allerdings dieses Mal noch wissenschaftlicher und unverständlicher. Bei den Grafiken zu irgendwelchen Knierotationen bin ich beinahe kurz weggenickt, aber als dann „der Versuch am Präparat“ im Bild gezeigt wurde, war ich wieder wach. So ein herrenloses Leichenbein, das sich zu wissenschaftlichen Zwecken artig beugt, ist für das Laienauge etwas gewöhnungsbedürftig und kann schon mal eine Tasse Kaffee ersetzen, um dem Vortrag weiter folgen zu können. Die Erkenntnisse von Prof. Brüggemann sind so ähnlich zu denen von Benno Nigg, dass ich straffen will.

Laufschuhsymposium 4

Wirklich spannend zu sehen war dann aber ein erster Versuch, Messungen zu zeigen. Den zeigt André Kriwet von Brooks gemeinsam mit Herrn Brüggemann. Im vergangenen Jahr hat Brooks bereits ein neues Laufschuhzeitalter ausgerufen, jetzt wird es Zeit für einige weitere Schritte. Die Messungen, die gezeigt werden sollen, könnten so ähnlich vielleicht eines Tages in einem Laufsportgeschäft statt finden. Die Demonstration findet live auf der Bühne mit zwei Läufern statt. Dazu führt der Läufer ein paar lockere Kniebeugen aus. Sensoren messen, wie sich das Knie dabei verhält, und zeichnet diese individuelle Bewegung auf. Auf einer Skala wird eine Art Nullpunkt gesetzt – so möchte das Knie sich beugen. Dann läuft der Läufer barfuß und wird dabei wieder von Sensoren begleitet. Das Ergebnis: Der Punkt auf der Skala ist um einiges vom Ideal entfernt, der Impact des Laufens verändert die Bewegungen im Knie. Jetzt das Ganze mit einem ersten Testschuh. Der Punkt auf der Skala rückt wieder näher an das Ideal heran. Ein zweiter Test mit einem anderen Schuh zeigt, dass der Punkt noch näher heranrückt, beim Test mit einem ambitionierten Läufer stimmt er sogar fast mit dem Idealpunkt überein. Alles spricht dafür, dass dieser zweite Schuh für den Läufer der passendere ist. Das bestätigt der Läufer denn auch durch seinen subjektiven Eindruck von Komfort. Das gefällt mir. Endlich was Praktisches.

Dies alles ist nur eine Richtung, in die es gehen könnte. In jedem Fall kann man eines (wiederholt) festhalten:

* Läufer sollen durch Schuhe nicht mehr „korrigiert“ werden

* Laufschuhe sollen dem Läufer in Zukunft mehr als jetzt ermöglichen, belastungsarm zu laufen, in dem sie ihn dabei unterstützen, sich so zu bewegen, wie es der Körper eigentlich gern möchte.

* Die alten Laufschuhkategorien, die so ohnehin kaum noch verbreitet werden, werden weiter „aufgeweicht“ bzw. durch andere Kriterien bestimmt

Eigentlich würde man jetzt gerne hören, was andere Laufschuhhersteller dazu zu sagen haben. Und tatsächlich ist jetzt auch 361° dran, ein chinesischer Hersteller, der jetzt in Europa Fuß fassen möchte. Als Marketingfrau gruselt es mich beim Markennamen, weil „Ein Grad mehr“ einfach grober Unfug ist. 360° (Beratung, Service, Wohlfühlen, Qualität …) ist schon ein fieses, überstrapaziertes Marketingbild für „rundum supi“, aber 361° toppt das wirklich nochmal. Aber gut, der Name muss ja nicht unbedingt auf die Produkte abfärben. Auch jetzt will ich allerdings wieder straffen, denn aus meiner Sicht gab es leider nichts, über dass es sich zu berichten lohnt. Da ist ein Hersteller, der hat nette Sportartikel und der gibt jetzt ganz ungeheuer viel Geld aus, damit das auch alle glauben. Mehr ist nicht. Der Schuh sieht aus wie ein Asics Schuh. Wenn es ein bestimmtes Laufschuhkonzept gab, dann ist es mir entgangen. Macht nichts.

Caspar Coppetti und Olivier Bernhard von On geben da schon ein bisschen mehr „Butter bei die Fische“, denn die haben sich für die herkömmlichen Laufschuhkategorien eh nie so richtig interessiert. Seit fünf Jahren machen die Schweizer Hersteller als David zwischen den Goliaths eine ganz ordentliche Welle. Mit dem „Laufen wie auf Wolken“-Konzept und einer markanten Sohle haben sie dem Minimal-Trend getrotzt (obwohl es auch ein Nike-Free-artiges Modell gibt) und das Augenmerk auf unterschiedliche Laufambitionen und weniger Muskelvibrationen gelegt. Das passt ganz gut zu den zuvor genannten Erkenntnissen und ist einigermaßen schlüssig.

Es folgen Workshops und deren Präsentation vor einem leicht ermüdeten und ausgedünnten Auditorium. Auch ich kann keine neuen Erkenntnisse mehr aufnehmen und freue mich auf Dieter Baumann als Special Guest und seine schön alberne Performance.

Was bleibt also für mich vom 2. Laufschuhsymposium? Bin ich jetzt schlauer? Die Sache mit der Messung hat mir sehr gut gefallen. Dass man durch ein unbestechliches System optisch sehen kann, welcher Laufschuh zu einem passt, das wäre besonders für Laufanfänger ziemlich toll. Läufer, die ihren Körper genau kennen, merken im Grunde selbst schnell, was geht und was nicht. Schlimmstenfalls muss man den Schuh nach ein paar Testläufen zurückgeben, so einen Fall hatte ich einmal. Kurioserweise war das ein Schuh, der mir nach sehr eingehenden Analysen vom Hersteller ans Herz gelegt wurde. Keine Messung ist so gut, wie das eigene Körpergefühl und ein Schuh, der Schmerzen verursacht, KANN nicht gut für meine Knie sein.

Andererseits hätte ich gern das Bestmögliche für mich, denn ich bin nicht mehr zwanzig und meine Knie zwacken durchaus. Ich denke auch noch über die Sache mit den Einlagen nach. Darum ging es zwar beim Laufschuhsymposium nicht wirklich, aber vielleicht habe ich noch nicht den richtigen Orthopädieschuhmacher gefunden. Ich habe meine alten Einlagen nie als komfortabel empfunden und irgendwann in die Ecke gepfeffert. Vielleicht waren es einfach nicht die richtigen für mich. Ich teste und probiere jedenfalls weiter. Und wenn es neue Erkenntnisse gibt, dann höre ich sie immer wieder gern. Auch auf einem Laufschuhsymposium.

Laufschuhsymposium 5

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6Antworten um “Laufschuhsymposium 2.0. Und jetzt?”

  1. Christiane Says:

    Huiuiui… da schwirrt der Kopf! Vielen Dank für die Zusammenfassung! So ein Messsystem klingt in der Tat interessant, wobei ich schon auch denke, dass ein geschultes Auge eines Fachverkäufers da auch ohne teures Gerät viel sieht. Andererseits ist so ein objektives Messergebnis vielleicht auch ganz gut, um Leute davon abzuhalten, weiterhin nach Farbe und Preis zu kaufen. (siehe: Die 10 Schuhkauftypen).

  2. Haasky Says:

    Und täglich grüßt das Murmeltier. Oder jährlich das Laufschuhsymposium. Man kann heute schon sicher sein, dass die aktuellen Erkenntnisse morgen bereits Schnee von gestern sein werden.

    Ich bewundere die Biomechaniker, die immer neue Anläufe nehmen, den richtigen Laufschuh zu konstruieren, und das mit vorhersehbarem Ergebnis für Hersteller- und Kranken-Kasse.

    Das zu lösende Problem ist ja auch mächtig komplex:
    * Jeder Mensch hat andere Maße, andere Füße und einen anderen Laufstil; das schreit nach Individual-Anfertigung, aber die wäre sehr teuer.
    * Der Fuß setzt je nach Laufgeschwindigkeit anders auf; selbst der Fersenläufer wird beim Sprint zum Vorfußläufer.
    * Der Fuß arbeitet umso perfekter, je freier er sich bewegen kann. Je weniger Schuh „drumherum“ ist, umso weniger Schutz und Komfort gibt es, und davor fürchten sich alle.

    Bei Licht betrachtet also eine ganze Menge Zielkonflikte, die so ein Schuh(-Hersteller) lösen muss.

    Auf deinen Bericht vom nächsten Laufschuhsymposium mit abermals neuen Lösungen freue ich mich jetzt schon.

  3. Markus Says:

    Also auf gut deutsch: Der perfekte Schuh erweitertet nur deinen Fuß und zwingt ihn nicht irgendwie oder -wie hinein. Einfach sein lassen. Eben ganz individuell. Entsprechend sollten aber von den Bestsellern unter den Schuhen bei weitem nicht so viele verkauft werden. Oder haben doch so viele die gleichen Füße?

  4. Julia Says:

    Vielen Dank für diesen Bericht, den ich mit Interesse gelesen habe. Laufschuhe sind schon eine Wissenschaft für sich… Aber ohne Weiterentwicklung wäre es ja auch langweilig. 😉

  5. MagicMike2311 Says:

    Das „Weg vom gestützten Schuh“ kann ich nur zu gut nachvollziehen. Mag man am Anfang die Führung des Fußes noch als angenehm empfinden, so hört mit sich bildender Muskulatur das Wohlbefinden irgendwann auf. Da die Analysen sehr komplex und sicher auch teuer sein werden habe ich leider Zweifel, a) das wirklich viele Laufgeschäfte (nicht -ketten) das anbieten können und b) sollte die Messung kostenpflichtig sein, ein Großteil das annimmt.
    Letztendlich gebe ich dir vor allem in einem Recht: Jede noch so komplexe Messung wird jemals das eigene Körpergefühl ersetzen können. Sie kann lediglich versuchen, unsere Aufmerksamkeit in die richtige Richtung zu lenken.
    Trotz aller implizierter Langeweile bleibt es wohl spannend 🙂


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