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Die Bergstraße ruft!

Die Bergstraße ruft!

Der Melibokuslauf (2005)

Der Melibokus ist ein Berg im Odenwald. Obwohl der Name für mich eher klingt wie eine Krankheit. „Herr Doktor, sagen Sie mir die Wahrheit.“ „Sie haben Morbus Melibokus. Im Endstadium. Es tut mir leid.“ Gelegentlich wird der Berg auch Malschen genannt. Auch das hat eigentlich kein Berg verdient. Der M. liegt im Odenwald. Intimen Kennern der A5 zwischen Darmstadt und Heidelberg ist der Anblick des grünen Berges mit der ausgedienten US-Sendestation auf dem Gipfel sehr vertraut.

Der Melibokuslauf hat Tradition, in diesem Jahr findet die 35ste Auflage statt. Für mich ist es die erste. Man startet im beschaulichen Örtchen Alsbach, das uns freundlich empfängt. Es gibt das Hotel Sonnenschein, das Gasthaus zur Sonne und selbst das Bürgerhaus, in dem man sich anmeldet, trägt den Beinamen „Sonne“. Wenn es ein bayerischer Ort wäre, würde der Melibokus folgerichtig Sonnentupfl heißen oder etwas in der Art. Schnell taufe ich den Berg um. Muss ja niemand erfahren.

Die Umkleiden und Duschen erfordern einen kleinen Marsch, denn sie sind 700 Meter entfernt. Angeblich. Nach meinem Gefühl könnte es auch das ein oder andere Meterchen mehr gewesen sein. Sie befinden sich in der Sonnentupfl-Schule und führen dort ein unbehelligtes exklusives Dasein. Außer uns ist niemand auf die Idee gekommen, sich in der Umkleide umzukleiden. Dabei stehen allein den Damen 4 (in Worten: vier) Umkleideräume zur Verfügung. Ich überlege, ob ich in jedem Raum ein Kleidungsstück ablege, um ein Revier zu markieren, das mir vermutlich nie wieder in dieser Weitläufigkeit zur Verfügung stehen wird. Aber wenn so gar niemand da ist, macht Revier markieren keinen Spaß. So nehmen wir denn unsere Taschen und verlassen nach getaner Tat diesen freudlosen Ort.

Im Bürgerhaus Sonne sitzen derweil ein paar fröhliche Läufer und essen schon mal etwas Streuselkuchen. Die Vorwegnahme echter Finisher-Freuden liegt im Trend. In Bonames konnte man seine Medaille schon vor dem Start erstehen. Es würde sich bestimmt auch nachhaltig auf die Qualität der Finisher-Fotos auswirken, wenn man sie bereits am Start aufnehmen könnte. Beim Blick auf den Streuselkuchen fällt mir allerdings nur der Slogan einer religiös motivierten Keuschheitsaktion ein: „Wahre Liebe wartet.“

Wir hoppeln zum Start. Auch das ein kleines Präludium zum Lauf: der erste Anstieg will schon vor dem Start-Transparent genommen sein. Wir ahnen, was uns erwartet. Die Strecke hat 450 Höhenmeter Unterschied. Verteilt auf knapp 20km ist das nicht weiter schlimm. Dumm nur, dass man 200 der Höhenmeter in 3,5 Kilometern bewältigen muss.

Für gewöhnlich zieht sich das Feld bei Bergläufen schnell auseinander. Hier ist das anders, denn 10km und 20km-Läufer sind gemeinsam gestartet. So ist es anfangs sehr eng und schwer, ein Tempo zu finden. Noch nach drei Kilometern überhole ich Walker, die vermutlich aus der ersten Reihe gestartet sind. Aber Groll ist hier ganz unnötig. Denn der Sonnentupfl liebt die Zurückhaltenden und straft die Vorwitzigen mit Muskelkater bis in die dritte Generation.

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Der Wald steht satt im Saft und ich habe grüne Welle. Es geht stetig aber sanft bergan. Hinter mir läuft ein Pärchen, das schnaufend versucht, sich zu unterhalten. Er scheint ein Meister der Motivation zu sein. „Um eins liegen wir schön mit einem Bier in der Wanne, Schatzi“ schnaubt er an seine Seite. Doch Schatzi antwortet nicht. Vielleicht kann sie sich Schöneres vorstellen. Vielleicht kann sie sich überhaupt etwas Schöneres vorstellen, als jetzt den ersten steilen Stich hochzujuckeln. Ich werde es nie erfahren.

Dann zeigt sich die Natur plötzlich in ihrer ganzen sinnlosen Fehlkonstruktion. Ich muss bergab laufen, obwohl ich doch nach oben will. Das ist unpraktisch und ganz und gar unökonomisch. Kopfschüttelnd trotte ich abwärts. Man sollte den Veranstalter anschreiben. Es muss doch in 34 Jahren schon einmal jemand die Sinnlosigkeit dieser Strecke bemerkt haben!

Trotzdem: mir geht es gut und zu meiner Freude bleibt das auch so. Ich darf mich wie an einem Band gezogen den Sonnentupfl hochwalzen und dabei immer wieder einen wunderbaren Blick auf die Bergstraße genießen. Immer wieder lassen sich auch ein paar Läufer kampflos überholen und ich gebe zu – es macht Spaß.

Am Gipfel des Berges taufe ich ihn kurzfristig wieder zurück. Die Maschendrahtein-zäunung um einen ollen Sendemast ist so häßlich, dass der Berg seinem Namen alle Ehre macht. Aber nach wenigen Sekunden rückt die Scheußlichkeit wieder aus dem Blick und Sonnentupfl und ich sind wieder versöhnt. Ich stürze mich ins Tal und freue mich schließlich über eine saubere 1:49 im Ziel.

Während der unorthodoxen Siegerehrung im Bürgerhaus, die von zwei leicht verwirrten augenscheinlichen Gründungsmitgliedern des TV 1898 Alsbach vorgenommen wird, mümmeln wir den hart verdienten Streuselkuchen und sind glücklich. Obwohl die 30-39jährigen Mädels in einer Altersklasse zusammengefasst werden, habe ich es noch auf den 3. Platz geschafft.

Und um viertel nach eins lag ich (ohne Bier) schön in der Wanne, Schatzi!

Badewanne

[stextbox id=“grey“]Mehr zu Lauf und Veranstalter gibt’s unter: www.turnverein-1898-alsbach.de[/stextbox]

Melibokus? Alsbach?

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