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Kirschen, kariert.

Kirschen, kariert.

Der 10km Lauf in Oberursel-Stierstadt (2009).

Ockstädter Kirschen sind eine Delikatesse. Besonders in Stierstadt. Zumindest lässt sich das vermuten, wenn man die zahlreichen Schilder zum Kirschverkauf in und um Stierstadt betrachtet. Die Kirschen sind anscheinend tatsächlich reif geworden, obwohl schon seit Tagen wieder etwas herrscht, dass man nur im allerweitesten Sinne als „Wetter“ bezeichnen kann. Der Himmel zeigt sich in einer Farbe, die sich sonst nur ergibt, wenn man ein schwarzes T-Shirt versehentlich mit der weißen Wäsche gewaschen hat.

Trotzdem: wir fahren nach Stierstadt. Denn dort läuft man heute 10km oder einen Halbmarathon, je nach Gusto. Mein Gusto steht mir nach der kürzeren Strecke. Ich bin noch immer nicht das gefährliche Ausdauermonster, das ich einmal war. Der Ort glänzt mit einer ungewohnt großzügigen Umkleidesituation – etliche Umkleideräume eines langgezogenen Schulturnbereichs stehen zur Verfügung.

Stierstadt-Anmeldung

Ich bin schnell in meiner Montur und riskiere danach einen Blick in die Schulturnhallen. Auf dem Boden liegen die blauen Matten mit den Eckverstärkungen aus braunem Leder. Ich muss sie nur sehen, um ihre Struktur zu fühlen, mich an ihren muffigen Geruch zu erinnern. Hier stehen sie, die Folterinstrumente meiner Kindheit und Jugend: eine Sprossenwand, ein Barren, ein Pferd, niedrige Kästen für das Zirkeltraining und hohe, über die man von einem Sprungbrett aus springen musste und an denen ich abgerutscht bin. Das Pferd hier hatte offensichtlich mal einen Wasserschaden und die dicke Matte ist unschön aufgeplatzt. Möge das ganze klapprige Zeug verrotten und der Angstschweiß von unzähligen Schülern mit ihm.

Nach meiner kleinen Reise in die Vergangenheit muss ich dringend an die frische Luft. Dort treffe ich auf ein charmantes Stück „Retro“: die „Anlage“ sieht aus, als hätte man drei Megafone aneinandergeschraubt, und einen Telefunken-Verstärker drangenagelt. Damit wird der beschauliche Sportplatz beschallt. Bonnie Tyler, sonst gern gehörter Gast bei Volksläufen, weilt heute im Wochenende und so hören wir die Gipsy Kings. Man kann die Sonne auch herbeisingen lassen.

Stierstadt-Anlage

Wir schlurpsen uns ein bisschen ein und beäugen aus dem Augenwinkel den Mann mit der Rennprothese. Er wirkt nicht gerade behindert. Aber so cool ich den Hightech-Bogen auch finde – ich bin doch froh um meine zwei Weißwürste in Socken. Und das, obwohl ich jetzt zum wiederholten Mal meine Schuhe aufschnüre, um nach dem Steinchen zu suchen, dass mit mir Verstecken spielt.

Stierstadt-Ziel

Die 10er starten zuerst und so begebe ich mich nach halbherzigem Show-Dehnen allein zum Start. Erst geht es eine Runde („Bamboleo“) durch das Stadion und dann ab in den Ort. Auf dem ersten Kilometer treffe ich eine Bekannte aus dem Runnersworld-Forum und wir plaudern, wie es Volksläufer zu tun pflegen: jeder sagt abwechselnd ein bis zwei Worte. (Es gibt freilich auch die andere Sorte, die unterwegs nicht nur ihre Lebensgeschichte abspulen, sondern auch die ihres Hundes, ihres Chefs, ihres Knies und die ihres rottigen Zehennagels – aber zu denen zähle ich uns eher nicht). Dann konzentriere ich mich wieder aufs Laufen, denn es geht bergauf. Es geht öfter mal bergauf in Stierstadt, aber verglichen mit dem Halbmarathon ist der 10er harmlos. Mir geht es ausgesprochen gut. Schlechte Momente, Schmerzen, mentale Tiefs sind zwar die Würze eines jeden Laufberichts, aber heute kann ich damit gar nicht dienen. (Ich schreibe jetzt nicht: leider. Das ginge dann doch zu weit.)

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Alles ist völlig unspektakulär. Ich laufe durch die Felder, sehe andere Läufer gegenüber entgegenkommen und bin völlig eins mit mir. Vor mir läuft ein junger Mann mit karierter modi- scher Hose und ich denke: lauf Du nur. Ich hab Dich gleich. Derart überhebliche Gedanken habe ich mir bei Halbmarathons angewöhnt, bei denen sehr junge Männer oft durch einen Endspurt zwischen Kilometer drei und sieben auffallen. Dass man den Endspurt besser ans Ende verschiebt, ist eine Erkenntnis, zu der eine gewisse Reife von Nöten ist. Diese übermotivierte Fraktion kann man bei 21 Kilometern immer einsammeln. Bei 10 km sollte man sich mit derartigen Prognosen besser zurückhalten. Mach ich aber nicht. Keine Lust heute. Seit wann sind karierte Hosen eine Gefahr für mich. Den häng ich ab. Basta.

Bild-13Immer wieder kommen wir an Kirschbäumen vorbei oder besser: wir eiern über das Obst, das am Boden liegt. Na gut, ehemaliges Obst. Nicht, dass eine Kirsche ein nennenswertes Hindernis darstellt, aber die übrigbleibenden Kerne können in ihrer Fülle beinahe geröllartige Ausmaße annehmen. Dabei ist eine entscheidende Frage ungeklärt: sind das jetzt Ockstädter Kirschen? Oder Stierstädter Ockstädter Kirschen? Oder ganz ohne Ock?

Bild14Wo auch immer diese Kirschen ihre Wurzeln haben – sie vertragen sich nicht mit japanischen Schuhen. Mehrfach bleibt ein Kern in meinem Profil stecken und macht so meine Schrittgeräusche zu einem seltsamen Geklicker. Ich fummle die Dinger wieder aus den Sohlen und die karierte Hose gewinnt Raum.

In der zweiten Hälfte beginnt es zu regnen. Es ist die Sorte Regen, bei dem außer den Brillengläsern nichts nass wird: fein und leicht. Natürlich trage ich eine Sonnenbrille. Man wird sich doch vom Wetter nicht vorschreiben lassen, ob es Sommer ist. Bamboleo! Jetzt ziehen drei Herren an mir vorbei – die Halbmarathon-Spitze hat mich eingeholt. Ich seufze ein bisschen, aber mehr aus theatralischen Gründen. In Wirklichkeit bin ich mit meinem Tempo und Zustand vollkommen zufrieden. Und sogar mit dem Wetter, denn die Felder in Stierstadt machen einen in herkömmlichen Sommern schnell zu einem laufenden Grillhühnchen.

Die letzten Kilometer geht es bergan. Ich liebe bergan, vor allem, wenn ich erst sieben Kilometer gelaufen bin und nur noch drei muss. Zu oft hatte ich schon zähe Steigungen in einem Halbmarathon bei Kilometer 12 oder 13. Das ist eine ganz andere Härte. Aber jetzt? Pah! Die Mission „karierte Hose“ hat begonnen. Ich zünde einen Turbo. An dieser Stelle möchte ich ein Geheimnis verraten, das vielen Läufern nicht bekannt ist. Der Turbo hat nämlich einen Power-Knopf. Auf den muss man drücken, wenn man Reserven mobilisieren will. Er sitzt – und das wird viele überraschen – in der rechten Hinterbacke. Ganz tief im Gluteus Maximus. Wenn man den Power-Knopf anschalten will, muss man ganz fest daran denken, bei jedem Schritt, den man macht. Dann merkt man deutlich, wie von der rechten Hinterbacke ein enormer Schub ausgeht. Am Berg funktioniert der Gluteus-Turbo ganz besonders. Ich kann es nur empfehlen! Ich drücke also auf Power und der Anstieg gehört mir. Adieu Hosenjüngling, ich würde gerne noch bleiben, aber ich muss gehen. Man weiß ja nie, wie lange der Kuchen reicht.

Die letzten Anstiege sind dann nur noch Bamboleo. Kein Thema. Dumdideldum. Nur das Stadion hat sich in der letzten Stunde (vermutlich wetterbedingt) ausgedehnt und die Laufbahn bis zum Ziel ist jetzt 200 Meter länger. Mindestens. Aber das stecke ich weg. Ziel, Verpflegungsstand, Prost, Ah!

Ich lege mich trocken und warte anschließend mit den netten Menschen aus dem Forum auf die ersten Halbmarathonis und meinen Laufpartner.

Stierstadt-Sieger Stierstadt-zweiter Stierstadt-Dritter

So sehen Sieger(innen) aus: die ersten des HM Rainer Hett, Björn Grunwald, Michael Grupp und Gabi Hoffmeister.

Stierstadt-HM-Siegerin

Zur Belohnung esse ich anschließend einen Streuselkuchen mit Kirschen. Herkunft unbekannt.

[stextbox id=“grey“]Mehr zu Lauf und Veranstalter gibts unter: www.tvstierstadt.de[/stextbox]

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