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Wenn der Vogel Strauß dreimal stolpert.

Wenn der Vogel Strauß dreimal stolpert.

15 km in Taunusstein-Hahn (2008)

Der Taunussteiner Waldlauf ist eigentlich gar kein Volkslauf. Er ist eine Marke. Er hat alles, was man als erfolgreiche Marke braucht: ein unverwechselbares Erscheinungsbild, verlässliche Qualität und treue Kunden. Dabei beschränkt sich das mit dem Erscheinungsbild nicht nur auf die Strecke. Der Marke „Taunssteiner Waldlauf“ begegnet man nämlich schon lange, bevor der Startschuss fällt. Zum Beispiel an diversen Abzweigungen auf dem Hinweg – überall rast der scheinbar hochmotivierte Vogel Strauß, Erkennungszeichen des Lauftreff Neuhof, über die Wegweiser. Die sind obendrein mit knalligem Orangerot ausgestattet, was ein falsches Abbiegen nahezu unmöglich macht. Es ist nur einer der vielen Gründe, den Taunussteiner Waldlauf zu lieben – sogar so sehr, dass man dafür sonntags um 6:30 Uhr aufsteht.

Taunusstein 1

Mein Trainingspartner ist heute ein Urlaubsausfall und so hole ich mir eben ganz allein mit den anderen 390 Startern meine Nummer für den 15km-Lauf. Ich verkürze das Streckenprofil auf das Wesentliche: es geht hoch, hoch, hoch, dann runter, runter, runter und wenn man schon Puddingbeine hat vom steilen Runter, dann geht’s noch mal ordentlich hoch. Eine Strecke, wie ich sie mag.

Taunusstein-Profil

Hier oben im Taunus ist es um einiges kühler als in der Stadt. Es könnte ein perfekter Lauftag werden. In der Gesamtschule, in der wir uns umziehen, sind alle Türklinken so kurz, dass man sie gar nicht richtig zu fassen bekommt – ein Rätsel, das ich auch bei meinem siebten Start hier nicht aufzulösen vermag. Dafür kenne ich hier mal wieder eine Geheimtoilette, die ich auf ausdrücklichen Wunsch meiner Blase an dieser Stelle nicht näher benenne.

Taunusstein 2

Ich laufe mich gründlich ein, denn seit dem Melibokuslauf vergangene Woche nölt mein Knie, wenn es kalt ist. Sobald es gut durchblutet wird, ist es friedlich wie ein griechischer Fußballfan. Wie jedes Jahr gewinnt jeder 10. Teilnehmer hier ein T-Shirt und wie jedes Jahr habe ich nicht die dafür erforderliche Endziffer an der Startnummer. Macht nix. Wir starten.

In Taunusstein ist es immer wieder hübsch zu beobachten, wie sich Läufer übernehmen. Ich tue das nicht aus Garstigkeit. Es ist einfach ein interessantes Unterhaltungsprogramm auf der Strecke. Wird man den Riesen mit dem hässlichen T-Shirt vom Chase-Lauf, der gerade an einem vorbeihechtet, wiedersehen? Wird man den wippenden Pferdeschwanz in 200 Meter Entfernung später einholen können? Was ist mit dem älteren Herrn mit dem Frotteestirnband? Werde ich noch einmal an dem übelriechenden Schnaufmonster vorbeimüssen (hoffentlich nicht)?

Die Strecke lässt sich immer wieder sehr gut einsehen, so dass man genau sieht, wer, wo läuft. Und die Steigungen machen das Ganze interessant. Ich fühle mich wohl und genieße die angenehmen Lauftemperaturen. Wir laufen an Wiesen und überdimensionalen Misthaufen vorbei, an Wohnhäusern, Feldern, Hühnern, Ziegen und Pferden. Eine halbe Stunde auf der Strecke genügen völlig, um mit dem Wecker versöhnt zu sein. Gut, dass ich hier bin.

Hinter mir laufen zwei Jungs, die in einem Kilometer die komplette Fußball-EM analysieren. Da sie ungefähr das vierfache Sprechtempo von Günther Netzer haben, gelingt ihnen das mühelos, obwohl es stetig bergauf geht. Das Resümee gefällt mir besonders gut. „Isch mag se jo net, die Säck“, heißt es in wunderschönem hessisch „Aber die Holländer sinns afach.“ Damit wäre das doch auch geklärt. Leider laufen die ziemlich coolen Jungs nach diesem Fazit an mir vorbei.

Taunusstein 3

Das angebotene Wasser ist kalt, aber bei diesem Wetter braucht man ja auch nur einen kleinen Schluck. Das Trinken ist da mehr psychologisch. Umso mehr strapaziert mich der Gedanke, ich könnte ein Mädchen nicht mehr einholen, das eine Halbliterflasche in der Hand trägt. Und nicht nur das: sie hat auch noch einen verhältnismäßig großen mp3-Player dabei. Greise dürfen mich überholen. Dicke. Und zur Not auch welche mit Münzen in der Hosentasche. Aber eine fette Trinkflasche und ein mp3-Player – das kann ich nicht zulassen. Ich hoffe das Beste für mich.

Langsam freue ich mich schon auf mein Lieblingsschild. Es steht an einer Abzweigung, bevor es in den Wald hinein geht. Darauf sieht man den Vogelstrauss über eine Wurzel stolpern, der dabei von einem besorgt dreinblickenden Baum beäugt wird. „Vorsicht Wurzeln“ – die Botschaft ist klar. Trotzdem hat man wieder einmal alles weiß markiert, was in ein paar Jahren mal eine Wurzel werden könnte. Da es an dieser Stelle durch den Regen der Nacht ein wenig rutschig ist, steht zusätzlich ein Streckenposten am Weg, um „Achtung, Wurzeln!“ zu rufen. Und wer es danach immer noch nicht verstanden hat, wird von einem Autowarndreieck überrascht, unter dem „Vorsicht, Wurzeln!“ steht. Der Lauftreff Neuhof ist hier absoult unnachahmlich. Auch das gehört zu den liebenswerten Merkmalen der Marke „Taunussteiner Waldlauf“. Hat man diese lebensgefährliche Wurzelpassage überstanden, darf man sich bald ins Tal stürzen. Dabei sieht man saftige Weiden, über die ein weißes Pferd sprengt wie in der C&A-Werbung meiner Kindheit.

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10km sind vergangen – und hier steht noch einmal ein Streckenposten, um Menschen, die vor lauter Pulsuhren,   GPS-Geräten und Schrittzählern kaum noch die Arme heben können, ihre 10er Zeit zuzurufen. Ich versuche jetzt, das Mädchen mit der Flasche zu kriegen. Es geht verblüffend einfach. Ich bin eine gute Bergabläuferin, hier kann ich es nutzen. Nicht jede Rechnung geht auf, manche der Angepeilten laufen mir einfach davon. Aber einige kann ich einholen. Da es nicht so warm ist wie sonst, habe ich auch keine Angst vor dem letzten schattenlosen Anstieg. Die Frisur sitzt, die Moral reicht.

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Für den Berg wähle ich meine bewährte Kraulatmung. Nicht, dass ich dabei kraule, oder den Kopf zur Seite reiße. Aber ich öffne den Mund so weit und regelmäßig, wie es die Schwimmer machen, wenn sie Luft holen. Ich habe das Gefühl, so kriege ich am meisten Sauerstoff in den bedürftigen Schmittkörper. Es klappt, ich komme auf zwei Beinen oben an. Den letzten Kilometer, der zum großen Teil bergab geht, schaffe ich in 4:30. Mit 1:16:32 erreiche ich eine gute Zeit, damit kann ich ganz zufrieden sein. Natürlich gibt es auch in diesem Jahr wieder eine Medaille – natürlich mit dem Vogel Strauß als Erkennungsbild.

Taunusstein Medaillen

Nach dem Verzehr größerer Kuchenmengen (es gäbe aber unter anderem auch Brezeln mit Kräuterquark) treffe ich zwei nette Bekannte und wir lauschen der beliebten Tombola in der Sporthalle, bei der man neben etlichen T-Shirts auch unverzichtbare Dinge wie Riesentaschenrechner und Eismaschinen gewinnen kann.

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Zum würdigen Abschluss tanzt in der Halle die Showtanzgruppe Phenomenia, die irgendwie so rührend ist, dass ich hektisch fotografiere, als wäre ich die Oma der tanzenden Mädchen.

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Als ich nachhause fahre, gehe ich in Gedanken noch einmal die phantastische Laufstrecke ab. Ich werde markentreu bleiben. Noch 364 mal schlafen, dann ist wieder Taunussteiner Waldlauf.

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[stextbox id=“grey“]Mehr über Lauf und Veranstalter gibt’s unter: www.lauftreff-neuhof.de[/stextbox]

 

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