Als Kind war ich eine große Läuferin. Das wusste nur niemand. Außer mir natürlich. Meine Geschwister und ich hatten allesamt verheerende Noten im Schulsport – aber Sporthelden theatralisch nachzustellen, darin waren wir Weltklasse. Um der Szenerie mehr Bedeutung zu verleihen, traten wir dabei gleichzeitig als Athlet, Kommentator und Publikum auf. Wir tapsten auf der Wiese im Kreis und versuchten dabei so drahtig auszusehen wie Harald Norpoth, was in unserer Vorstellung täuschend echt gelang. Zeitgleich äußerten wir uns lautstark und enthusiastisch über die eigene Tempohärte und Eleganz und stimmten schließlich auch gleich den vielstimmigen Jubel des imaginären Stadions an. Es war ein Fest.

Im Laufe der Jahre verliert man diese spielerische Imaginationskraft oft, dabei kann man sie gerade beim Laufen so gut brauchen. Vor etwa 10 Jahren trug mich beim Marathon in München ein innerer Sportkommentator über die Strecke. Er hatte die beruhigende Stimme Herbert Steffnys und lobte unablässig meine akribische Vorbereitung, meinen konzentrierten Laufstil und mein herausragendes Potential. Es wurde mein zweitbester Marathon.

Manchmal, wenn ich schlapp bin, dann denke ich an Norpoth und die Wiese. An den Jux beim Laufen. Und dann feiere ich mich selbst. Rollenspiele sollen ja die Liebe angeblich beleben. Sollte die Liebe zum Laufen also in schnöde Routine übergehen, könnte man sich ja auch hier gelegentlich verwandeln. Man kann wie der griechische Bote Pheidippides auf der Strecke einfach ab und zu „Wir haben gesiegt!“ rufen. Das mit dem anschließenden tot Zusammenbrechen kann man ja durch pathetisches Fallenlassen auf die heimische Auslegeware ersetzen. Man kann natürlich auch mal barfuß laufen wie Abebe Bikila oder die Ankunft vor der Haustür mit einem Purzelbaum krönen wie Dieter Baumann anno 1992 bei seinem 5.000 Meter-Finish in Barcelona. Dabei könnte man zuvor in Gerd Rubenbauerscher Begeisterung rufen: „Jetzt muss er innen durch, die Lücke wäre da, die Lücke ist da!“ So wüsste auch gleich jeder in der Straße, dass die Lücke da wäre.

Filmszenen sind übrigens ebenfalls toll geeignet, um einem Lauf Größe zu verleihen. Man kann sich ein weißes Feinripp-Unterhemd anziehen und zu Vangelis‘ „Chariots of Fire“ in Slowmotion mit den Armen rudern. Eine graue Baumwollbuxe und ein blaues Sweatshirt braucht man für ein stilechtes Remake von „Marathon Man“ mit Dustin Hoffmann. Wem das zu aufwändig ist, der kann auch einfach nur pathetisch keuchend kreuz und quer durch den Wald hechten und sich dabei hektisch umdrehen, so wie man es aus ebenso unzähligen wie schlechten deutschen Krimis gewohnt ist. Zum Abschluss sollte man am besten einfach stehenbleiben und „Lassen Sie mich in Ruhe! Ich weiß nicht, wo das Geld ist!“ in den Wald rufen. Ach, es gibt so viele Möglichkeiten, unsere Liebe zum Laufen täglich zu beleben. Man muss nur das innere Kind wieder rausholen und ohne großes Nachdenken loslaufen lassen. Die Lücke wäre ja da.


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