Die Olympischen Spiele von London sind zu Ende und sie werden als die „weiblichsten Spiele aller Zeiten“ (IOC-Chef Jacques Rogge) in die Geschichte eingehen. Erstmals haben alle 204 teilnehmenden Länder auch Sportlerinnen entsandt und diese Tatsache wurde in nahezu jeder Zeitung gefeiert. Zu Recht, denn das ist eine höchst erfreuliche Angelegenheit. Die allgemeine Sektlaune soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Weg bis hierhin ein wahrer Ultralauf war und dass er noch lange nicht endet.

Bei den ersten Spielen der Neuzeit 1896 schloss deren Erfinder Baron de Coubertin Frauen kategorisch aus. Was dabei allerdings oft unerwähnt bleibt, ist, dass sich eine junge griechische Sportlerin dennoch für den Marathonlauf anmeldete – und abgewiesen wurde. Um zu zeigen, dass sie zu der Leistung fähig ist, lief sie eine Woche später, begleitet von Radfahrern und bestätigt vom Bürgermeister von Marathon, die Marathonstrecke. Angeblich in 4 Stunden und 30 Minuten. Der Name der jungen Dame ist nicht überliefert. Die Geschichte zeigt aber, dass die Frauen den Offiziellen seit jeher voraus waren, aber immer wieder ausgebremst wurden.

1928 fand der erste olympische 800 Meter-Lauf der Frauen statt. Lina Batschauer, eine Deutsche, gewann ihn in 2:16,8, eine Weltrekordzeit, die bis 1944 Bestand haben sollte. Lina, wie auch die Silber- und Bronzemedaillengewinnerinnen warfen sich nach dem Lauf erschöpft ins Gras – was das olympische Komitee veranlasste, den 800 Meter-Lauf der Frauen augenblicklich wieder aus dem Programm zu streichen. Offensichtlich waren die Damen ja vollkommen überfordert. Der Bann hielt 32 Jahre lang.

Lina Batschauer (rechts) bei ihrem olympischen 800 Meter-Lauf 1928 (Bildquelle: Wikipedia)

1930 ging in einer Sitzung des IOC der Antrag ein, alle Leichtathletik-Disziplinen der Frauen zu eliminieren. Der britische Sportjournalist Harold Abrahams nannte die Läuferinnen „eine Schande für die Weiblichkeit und Gefahr für alle Frauen.“ Mediziner beschäftigen sich intensiv mit dem Einfluss des Laufens auf Lage und Größe der Gebärmutter und auf die Psyche der Frau. Die „natürliche Bestimmung“ von Frauen sollte in keinem Fall beeinträchtigt werden. Dass Mädels beim Sport auch noch kurze Hosen trugen, machte das Ganze für Männer nicht unbedingt besser.

Noch immer scheint es schwer fassbar, dass Kathrine Switzer sich 1967 in Boston heimlich als einzige Frau ins Marathonfeld von Boston schummelte und dass man versuchte, sie von der Strecke zu drängen, als sie entdeckt wurde.

Im selben Jahr schrieb Adolf Metzner (der dem Frauensport positiv gegenüberstand) in der ZEIT: „In den USA gilt Leichtathletik noch als unladylike, deshalb dominieren N…, wie auch Wilma Rudolph.“ Tatsächlich verkörpert Rudolph (3-fache Goldmedaillengewinnerin bei den Olympischen Spielen 1960 über 100m, 200m und 4x 100m Staffel) den Sieg über eine doppelte Diskriminierung – als Frau und als Schwarze.

Nach Switzers ersten Marathonlauf dauerte es fünf Jahre, bis Frauen zum Marathon offiziell zugelassen wurden – und danach weitere zwölf Jahre bis zum ersten Olympischen Frauenmarathon. Hier mussten offensichtlich dicke Bretter gebohrt werden. Joan Benoit, wunderbare Siegerin über diesen ersten Lauf, berichtete, als sie in den 70ern mit dem Laufen anfing, sei es ihr peinlich gewesen. Wenn ihr jemand begegnete, blieb sie stehen und tat so, als wollte sie Blumen pflücken.

Für mich, als laufende Frau im Jahr 2012, ist das alles unglaublich. 1984 – daran kann ich mich erinnern, das ist keineswegs im Pleistozän. 1988 folgte der erste olympische 10.000 Meter-Lauf der Frauen, den 3.000 Meter-Hindernislauf gibt es erst seit 2008. Die Frauen laufen, aber sie sind längst nicht angekommen.

Dass Saudi-Arabien, ein Land, in dem Mädchen keinen Schulsport treiben und Frauen nicht Autofahren dürfen, tatsächlich zwei Sportlerinnen nach London schickte, hat nichts mit Überzeugung zu tun. Noch im April sagte der Vorsitzende des saudischen NOK, Prinz Nawaf bin Faisal: „Wir billigen im Moment die Teilnahme von saudischen Frauen an den Olympischen Spielen oder internationalen Meisterschaften nicht.“ Es ist wohl internationalem Druck zu verdanken, dass man schließlich einlenkte. Keine Frage, der Anfang ist gemacht und das ist ein großer und wichtiger Schritt. Die ZEIT beleuchtet jedoch die Teilnahme der wenigen Sportlerinnen aus bestimmten arabischen Ländern auch kritisch. Nicht über Leistungen hätten sich die Sportlerinnen qualifizieren können, sondern nur über Wildcards. Die Frauen hätten keineswegs die Chance, zu zeigen, was sie können. Zwar ist dabei sein alles, aber ohne Förderung und professionellen Trainingshintergrund antreten zu müssen, weil eine sportlich erfolgreiche Frau ohnehin vom Heimatland nicht erwünscht ist – das ist damit sicher nicht gemeint. Ohnehin überdeckte die Diskussion um „das Kopftuch“, den Hidjab, die Leistung. Mehr noch als 1928 ist die Kleidung der Sportlerinnen ein Thema, dieses Mal im Namen der Religion. Es gibt durchaus Sportkleidung aus Funktionsmaterial für strenggläubige Muslima, aber seit ich sie das erste Mal gesehen habe, bin ich froh, dass ich nicht darin laufen oder gar schwimmen muss. Sind so Höchstleistungen überhaupt möglich? Wo stehen die Frauen der Welt heute wirklich?

Der Focus berichtet, die japanische Frauenfußballmannschaft wie auch ihre australischen Kolleginnen im Basketball, seien Economy nach London geflogen, während die Männermannschaften jeweils in der Business Class unterwegs waren. Pikanterweise sind die Frauen jeweils die erfolgreicheren. Es scheint viele Anekdoten dieser Art zu geben, zu viele.

Für das Jahr 2016 wollen die Anhänger der „Pole Fitness“, der sportlichen Variante des in Eros-Centern entstandenen Stangentanzes, ihren Sport als olympische Disziplin anmelden. Die Ultra-Strecke der Frauen in der Geschichte der Olympischen Spiele muss wohl an etlichen seltsamen Abzweigungen vorbei.

Titelbild © Hiraman – istockphoto


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1 Kommentar

  1. Vielen DANK für diese interessante Aufbereitung dieser Thematik. Viel ist geschehen in den letzten Jahrzehnten. Und ich bin der Meinung, dass der Auftritt von Sportlerinnen aus dem Arabischen Raum auch einiges bewirken wird. Klar sind sie heute noch nicht konkurrenzfähig… es wird seine Zeit brauchen, bis sie sich herantasten, bis Systeme hinterfragt und auf den Kopf gestellt werden. Wie auch der Körper selbst Zeit zum Adaptieren braucht, gilt das auch für diese neue Generation an Frauen. Sie brauchen viel Mut, um sich gegen vorherrschende Meinungen und Bilder durchzusetzen. Doch nicht nur diese neuen Flecken auf der Landkarte gilt es zu unterstützen und zu forcieren… schauen wir doch vor die eigene Haustüre: habe dazu einen interessanten Artikel aus der Schweiz gefunden: https://blog.tagesanzeiger.ch/outdoor/index.php/21079/wenn-silber-mehr-wert-ist-als-gold/ Wir sollten da auch noch einiges im Kopf unserer Mitbürger bewegen!LGRunning Zuschi

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