Im Winter morgens zum Laufen aufstehen ist ganz einfach. Vorausgesetzt, es kommen keine Tiere dazwischen.

Laufen ist für mich wie Zähneputzen. Ich muss da gar nicht mehr drüber nachdenken. Wie heute morgen zum Beispiel. Es klingelt der Wecker, 6:00 Uhr. Ich laufe gern morgens, wenn wenig los ist auf den Bürgersteigen und den Parkwegen. Ich strecke meine Zehen, verscheuche einen Möchtegern- krampf in der Wade und lausche nach draußen. Ein Auto fährt vorbei. Es klingt, als wäre es durch ein mittelgroßes Planschbecken gefahren. Soso, es regnet also. Meine Lieblingslaufjacke, die warme regendichte, ist in der Wäsche. Na ja, egal. Mein Bett fühlt sich unglaublich wohlig an. Es ist ganz frisch bezogen. Biberbettwäsche. Wieso heißt das überhaupt „Biber“? Hat das was mit den kleinen plüschigen Holzfällern zu tun? Morgens stellt man sich doch immer die wichtigsten Fragen.
Warme, duftige Biberbettwäsche ist eine Welt. Kalter, nasser Asphalt eine andere. Dazwischen liegt eine lange, beschwerliche Reise. Es sei denn, man ist eher so ein kurzentschlossener Typ. Wie ich. Das ist ja nicht jeder, gerade im Winter. Erst gestern haben wir noch darüber gesprochen. Gestern war nämlich Läuferstammtisch. Sabine sagte, es sei gar nicht gut, im Winter so viel zu laufen. Vor zwei Jahren sei sie mal jeden Tag gelaufen und davon hätte sie morgens immer Herzklopfen bekommen. Ich höre auf meinen Herzschlag. Tatsächlich, da pocht was. Ich sollte das gelegentlich mal messen.

Ansonsten gab’s eigentlich nicht viel Neues beim Stammtisch. Bernd ist in München gelaufen und hat bei km 32 ein Trans- parent seiner Kinder entdeckt. „Papi, Du bist der Größte“ stand drauf. Er wusste, dass sie heimlich eins gemalt hatten. Trotzdem war er ganz gerührt. Als er die Kleinen umarmen wollte, hat er gemerkt, dass es gar nicht seine Kinder waren. Die standen einen Kilometer weiter mit dem Schild „Quäl Dich, Du Sau!“. Doris plagt sich immer noch mit ihrem Fersensporn und Günther immer noch mit seiner Frau. Die findet es unmöglich, dass er soviel läuft. Sie sagt, wenn er unbedingt Bewegung bräuchte, sollte er lieber öfter mal das Leergut zum Container bringen. Daraufhin hat er gesagt, wenn sie unbedingt sprechen müsste, könnte sie ihm lieber öfter mal den Sportteil der Tageszeitung vorlesen. Seitdem ist Funkstille.

Ich habe keine Kinder und keine Frauen und deshalb räkle ich mich jetzt ein bisschen. Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich kann aufstehen, ich kann aber auch liegenbleiben. Letzteres natürlich nur theoretisch. Mal angenommen, also nur mal angenommen, ich würde jetzt liegenbleiben. Oder vielleicht warten, bis es hell wird. Dann kann ich aber nur noch die kleine Runde drehen, sonst komme ich zu spät ins Büro. Aber es wäre nicht mehr so unangenehm dunkel. Seit ich „Das Wunder von Lengede“ gesehen habe, wollte ich mir unbedingt eine Stirnlampe kaufen. Aber ich vergesse es immer wieder. Sonst wäre das ja kein Problem mit der Dunkelheit. Ich wäre zwar das schwer-fälligste Glühwürmchen im ganzen Park, aber das wäre mir egal.
Vielleicht lege ich mich nochmal ganz kurz auf die Seite. Nur ganz kurz, wegen der Wirbelsäule, damit die nochmal in eine andere Streckung kommt. Plötzlich steht ein Biber vor mir.

Er ist ganz nackt geschoren, wie ein Schaf. „Du hast mir mein Fell weggenommen“, sagt der Biber. „Nur für Deine blöde Bettwäsche.“ „Entschuldige, Biber“ höre ich mich sagen. „Ich bin kein Biber“, sagt der Biber. „Ich bin ein Schweinehund.“

Ich schrecke hoch. Da muss ich doch tatsächlich noch einmal eingenickt sein. Jetzt reicht’s aber. Ob ich laufe, oder nicht, bestimme immer noch ich und nicht irgendeine mir innewohnende Fauna. Ich ziehe mir selbst die Bettdecke weg und stehe auf. Es ist gar nicht so schlimm. Ich wühle meine Jacke aus der Dreckwäsche hervor. Sie riecht ein bisschen, als hätte ich sie über Nacht in Essig eingelegt, aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich schnüre die Schuhe und gehe hinaus. Es ist klirrend kalt, mein Atem macht weiße Wölkchen. Scheinbar hat es längst aufgehört zu regnen. Hinter dem Haus steht die Sonne wie ein riesengroßer dicker roter Ball. Laufen ist doch etwas Wunderbares. Man darf nur nicht drüber nachdenken.

Titelbild: ©Torsten Kellermann – pexels.com, Foto: © Aphiwat chuangchoem – pexels.com


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2 Kommentare

  1. Liebe Frau Schmidt,beim Rumklicksen auf meinen Lesezeichen (ursprünglich aus Langeweile, ich sehe gerade die NDR-Talkshow von gestern und Til Schweiger spricht) fand ich diesen feinen Artikel. Den werde ich mir gleich neben die Koje heften, ist sicher hilfreich! Und gegrinst habe ich auch, aber nicht über Til Schweiger.Herzliche Grüße und schönen 3. Advent!Giegi

  2. Klasse Artikel! So ging es mir heute morgen – aber ich hatte auch nicht vor zu laufen. Das mache ich nachher, da kommen mir auch Biber und Schweinehunde nicht so in die Quere.

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