„Ich lauf dieses Jahr New York.“ Das klingt cool. Man sagt ja auch nicht IN New York, sondern nur: „Ich lauf New York.“ Oder auch: „Was läufst’n Du dieses Jahr?“ „Ich lauf Berlin. Vielleicht lauf ich auch Köln.“ Aber was sollte ich sagen? „Ich lauf Egelsbach.“ Das klingt ähnlich cool wie „Ich fahre dieses Jahr mit meinem Stammtisch zum Wandern in den Harz.“ Aber in einer vermeintlich coolen Welt hat gerade das Uncoole einen großen Reiz. Also wollte ich „Egelsbach laufen“ und habe mich unglaublich darauf gefreut. Kollegen haben gesagt: „Wo gibt’s denn in Egelsbach 42 Kilometer?“ Man dachte wohl, ich wollte die Hauptstraße auf und ab hoppeln. Es sind bedauernswerte Menschen, die den Wald bei Egelsbach nicht kennen. Soviel kann ich jetzt sagen.
Schon der Stadionsprecher am morgen gab alles. „Die Luftfeuschtischkeit ist relativ hoch, aber nischt bedrohlisch.“ Das sind Nachrichten, die man Sonntags morgens um 7 Uhr 30 schätzt. Schon rein mental gesehen. „Wir haben auch wieder wundeschöne Klohäusschen aufgestellt, machen sie bitte reischlisch davon Gebrauch.“ Noch nie bin ich so schön und eindringlich dazu aufgefordert worden, mich zu entleeren. Ich tat es. „Liebe Läuwerinnen und Läuwe, es gibt Pepsi an der Stregge und lecke Wasse, Bananen, Isogedränge und auch Pepsi – eben alles möglische, damit sie gut dorsch kommen.“ Ich mag gar kein Pepsi, aber der Mann gab mir das Gefühl, Kastenweise Pepsi sei nur für mich herangeschafft worden. Nein, ich habe keine Samba- Einpeitschmusik vermisst.
Dann gings los. Tatsächlich: viel „Luftfeuschtischkeit.“ Aber das fand ich prima. Noch etwas Salz und man hätte ein Soledampfbad machen können. Egelsbach hat manchmal so etwas Tropisches.
Es war wunderbar friedlich. Das kleine Feld von ca. 200 Herrschaften hat sich schnell verteilt. Extremer Männerüberschuss, gravierende Zauselquote. (Zausel = Herr jenseits der 50, unrasiert, das verbliebene Haar im Kopfkissenlook, klein, sehnig, zäh, trägt T-Shirt mit dem Aufdruck „Dumpelheimer Wiesenultramarathon 1982“ o.ä. und Schuhe aus dem Nachlass von Spiridon Louis. Zausel riechen oft säuerlich, sind aber rücksichts- voll, freundlich und gutgelaunt). Ich fühlte mich gut aufgehoben.
6er Schnitt war der Plan, den hielt ich ein – mal ein bissel drüber, mal etwas drunter, je nach Steigung. Bei Kilometer 13 musste ich mal. Trotz der Benutzung der „wunde- schönen Toilettenwagen“. Ich musste noch nie bei einem Marathon. In Egelsbach ist eben alles anders. Und das ist das Schöne am Wald: dem Blasengefüllten erscheint praktisch die ganze Strecke als eine einzige Pieselmöglichkeit. Soll ich hinter diesen Holzstapel? Oder hinter dieses zauberhafte Gesträuch mit den knackig grünen Blättchen? Wer schon einmal mit sich gekämpft hat, ob er sich zwischen zwei parkende Autos hocken will, sollte mal im Wald Marathon laufen. Überall ein Klo. Raumduft Sorte Waldesglück.
Und wer sich erleichtert hat, läuft gleich viel beschwingter. Doch war ich eben noch eins mit der Natur, so stand jetzt etwas zwischen uns. Läufer. Unglaublich viele Läufer. Das Halbmarathonfeld war gestartet und vereinzelte, bereits völlig eins mit der Natur gewordene Marathonis liefen in eine Horde aufgehübschter, ausgeschlafener Läufer, die größtenteils technisch besser ausgerüstet waren als die Nasa. Das Bild veränderte sich: statt sehniger Zausel beherrschten breitere Hinterteile die Szenerie. Ich war am Ende des Halbmarathonfeldes. Die Schuhe wurden bunter, die T-Shirts geschmackvoller. Leider war von Waldgeräuschen nichts mehr zu hören. Die Frauenquote war hoch, der Gesprächsstoff reichlich (das ist nicht politisch korrekt, aber wahr). Pulsmesser mit Schrittzähler soweit das Ohr reichte. Hüfttaschen mit vier (ich hab sie gezählt) Reißverschlüssen, die alle klapperten. Haustürschlüssel in Hosentaschen.
Sogar Geld (kann man bei Eichhörnchen Nüsse kaufen?). Diese hochmotivierten Halb- marathonläufer waren gerade drei Kilometer gelaufen, aber viele sahen jetzt schon elender aus als Paula Radcliffe nach ihrem Kreislaufkollaps. Irritiert lief ich Slalom. Solange bis das Feld wieder etwa mein Tempo hatte. Aber es war nicht mehr dasselbe. Da: schon wieder eine laufende Intensivstation: Piep, Piep, Piep, Piep. Nichts wie weg. Gedacht, aber nicht so einfach getan. Jetzt kamen noch mal die Steigungen. Oder was man nach drei Stunden laufen so dafür hält. km 31: Puh. km 33: Öff. km 37: Jetzt is aber mal gut. Ich konnte nichts mehr drauflegen, musste bei meinem 6er Schnitt bleiben.
Ein Rotkreuz-Wagen sorgt für rot-weiße Abwechslung im grünen Forst. Viele Rot-Kreuz Mitarbeiter sind richtig dick, denke ich. Ist ja auch kein Wunder. Während ich durch den Wald zischen darf, müssen die in viel zu kleinen Campingstühlchen sitzen und darauf warten, dass irgendwo ein Pulsmesser überhitzt. Nachdem ich die letzte Steigung überstanden habe, bin ich wieder guter Dinge. Die Sonne scheint, wir biegen wieder in den Ort ein. Eine ältere Dame steht im Morgenrock am Tor. Sie ist begeistert. In regelmäßigen Abständen ruft sie: „Suppää!“. Ich liebe Egelsbach.
Dann darf ich in ein kleines blitzsauber gepflegtes Stadion einlaufen. Tatsächlich: sie spielen Sambamusik. Der Stadionsprecher sagt: „Liebe Zuschauerinne und Zuschaue, ist des net hällisch?“ Recht hat er. Im Ziel fängt es an zu regnen. So sieht zum Glück niemand, dass sich bei mir ein paar Tränen ankündigen. Sofort trinke ich eine Pepsi. Das bin ich Egelsbach schuldig. Ich war 4:14:38 unterwegs. Mehr war bei der Strecke und Vorbereitung nicht drin. Ich bin zufrieden. Ich habe nichts vermisst, den Zeitdruck schon gar nicht. Läufer aller Länder, kommt nach Egelsbach.
Titelbild ©Jivee Blau CC BY-SA 3.0 DEED
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2 Kommentare
G-E-N-I-A-L-!Herrlisch!Ähhm, P.S. Was haben Sie gegen Halbmarathonläufre;-)?
Heute habe ich mich zum 10er in Egelsbach angemeldet.Schuld daran bist überwiegend natürlich Du, liebe Frau Schmitt!