Vor vielen Jahren habe ich einen Text über die Neigung von Sportkommentatoren geschrieben, Athleten allzu lässig und von oben herab abzuurteilen. Besonders in Erinnerung ist mir da der inzwischen gottlob verrentete Dirk Thiele von Eurosport, der gern davon sprach, dass sich „die Kenianer“ mit den Preisgeldern „die Taschen vollstopfen“ würden und der auch sonst immer für eine Entgleisung zu haben war.
Ich habe diesen Text nicht mit in die neue Webseite übernommen, ich hatte das Gefühl, Sportreporter hätten sich inzwischen verändert. Wir leben schließlich in einer Zeit, in der man gelernt hat, seine Worte zu wägen, damit sie niemanden herabsetzen. Wir sprechen über kulturelle Gruppen mit den Namen, die sie sich selbst geben und nicht mit solchen, die kolonialistisch oder von Belustigung geprägt sind. Wir äffen Asiaten nicht mehr in Sketchen nach und malen uns nicht mehr an, um Menschen mit anderen Hautfarben dazustellen. Und: Wir sprechen nicht mehr über Frauen, als wären sie eine andere, minderbemittelte Sorte Mensch. Das alles und vieles mehr ist gut.
Noch Luft nach oben in der Leichtathletik
Aber in Sportkommentaren kann man trotz allem immer noch ein Stück alte Welt sehen, das habe ich in den letzten Wochen festgestellt. Als wären Sportlerinnen und Sportler zu unserer Belustigung da und als hätten wir alle einen Anspruch darauf, dass sie die gewünschte Leistung abliefern wie ein Postpaket. Natürlich sind nicht alle Reporterinnen und Reporter so, auch bei diesen Olympischen Spielen habe ich super Berichterstattung gehört. Es gab phantastische Wettbewerbe, vor allem von weniger populären Sportarten, bei denen die Kommentatoren alles genau erklärten, mit den Athleten mitfieberten und sich respektvoll freuten. Das Angebot der Livestreams bei ARD und ZDF ist toll, aber es ist die Hölle, etwas Bestimmtes wiederzufinden (zumal es auch recht schnell wieder verschwindet), deshalb kann ich leider keine Namen nennen. Aber ich kann einen Wettkampftag beim Wasserspringen der Frauen hervorheben, an dem zwei Frauen kommentierten, eine von ihnen war selbst Springerin. Das war ebenso großartig wie alle Surfwettbewerbe, bei denen das jeweilige Duo die ganze Nacht leidenschaftlich durchmoderierte und das Warten auf die nächste Welle kompetent zu überbrücken wusste.
Müssen Läuferinnen glamourös sein?
In der Leichtathletik geht es aber leider oft immer noch rustikal zu. Wer hier mehr Informationen über die Feinheiten von Technik, Punktevergabe, Strategie oder ähnliches wissen will, sollte besser googeln als zuhören. Noch immer werden Frauen mit merkwürdigen Attributen bedacht, so heißt es über die sehr erfolgreiche 400-Meter-Läuferin Femke Bol mehrfach, sie sei „unscheinbar“. Die Niederländerin hat seit 2019 bei diversen Meisterschaften 15 Goldmedaillen angesammelt. Sie hält den Hallenweltrekord über 400 Meter. Nachdem die „unscheinbare“ Läuferin beim 400-Meter-Finale unter ihren Möglichkeiten bleibt und „nur“ Bronze gewinnt sagt der Kommentator: „Das hätte sie doch mit Leichtigkeit gewinnen müssen!“ Und Sport1 schreibt über den Lauf: „Showdown endet im Desaster“. Weitspringerin Malaika Mihambo, Inhaberin von insgesamt 19 Goldmedaillen, hatte nach einer wiederholten COVID-Infektion im Juni Mühe, ihre Leistungsfähigkeit wiederzuerlangen, ihre volle Lungenkapazität war nicht wiederhergestellt. Unter diesen erschwerten Bedingungen gewinnt Mihambo Silber und die Enttäuschung des Kommentators ist riesig. Immerhin gesteht er Mihambo zu, „auch nur ein Mensch“ zu sein. Ach was.
Eine Frage des Anstands?
Wenn immer eine Athletin oder ein Athlet nicht die hohen Erwartungen erfüllt, heißt es, sie oder er habe „gepatzt“ oder „tja, das war wohl gar nichts.“. Aber wer, wenn nicht die Athleten selbst, haben alles getan, um für diesen Wettbewerb auf den Punkt fit zu sein, wer, wenn nicht die Athleten selbst, sind tief enttäuscht, wenn es nicht klappt? Wie wär es denn mal mit einem Hauch Empathie? Als der große Eliud Kipchoge geplagt von Rückenschmerzen im Marathon zurückfällt (bevor er schließlich zum allerersten Mal in seinem Leben bei einem Marathon aussteigen muss), heißt es, es sei „eine Frage des Anstands“, dass Kipchoge finisht, schließlich habe ihn sein Land ja zu Olympia geschickt. Wirklich, „Anstand“? Die Gesundheit des Athleten spielt scheinbar überhaupt keine Rolle.
„Da trennt sich die Spreu vom Weizen“
Ja, „Ehrensache“, bei Olympia ins Ziel zu kommen, von mir aus. Aber auf das ganze Ehrenzeug ist doch gepfiffen, wenn Menschen leiden. Ich erinnere mich gut an die weinende Paula Radcliffe am Straßenrand von Athen während des Olympischen Marathons 2004. Die Häme der Presse war groß – wie kann sie nur? Obwohl sie sich nicht gut fühlte, trat sie vier Tage später bei den 10.000 Metern an und scheiterte abermals. Das letzte, was gebeutelte Sportler brauchen, sind sesselpupsige Bemerkungen von Sportkommentatoren, das Internet schüttet bereits genug Häme aus, siehe Turnerin Simone Biles, die nach ihrem Ausstieg in Tokyo durch einen Berg aus Social Media-Abfall waten musste. Und dann dieser Satz „Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen“ im hinteren Drittel eines Rennens. Kann der nicht endlich mal weg? Warum sollten Athletinnen und Athleten, die möglicherweise gerade Landesrekord oder Persönliche Bestleistungen laufen „Spreu“ sein? Ich weiß wohl, was gemeint ist, aber kann man nach Jahrzehnten voller Spreu und Weizen-Sätzen nicht mal etwas anderes sagen?
Ein britischer Eurosport-Kommentator glänzte bei den Olympischen Schwimmwettbewerben mit der Bemerkung: „Die Frauen sind gerade fertig geworden. Sie wissen ja, wie Frauen sind, sie lungern herum und schminken sich.“ Seine Co-Kommentatorin, eine frühere Schwimmerin, findet das überhaupt nicht witzig, aber er lacht nur. Nachdem der Kommentar viral geht, wird der Witzbold aus dem Kommentatorenteam ausgeschlossen. Das klingt hart, aber ich bin froh, dass auch Sportreporter endlich einmal daran erinnert werden, dass Respekt und Wertschätzung in ihrem Job nicht optional sind.
Nachtrag: Beim olympischen Marathon der Frauen, dem letzten Wettbewerb der Spiele Paris 2024, zeigen Alexandra Dersch und Felix Tusche im ZDF-Stream, wie Wertschätzung geht. Okay, sie sind offenbar keine alten Laufspezialisten, die mit Kathrine Switzer vertraut sind und auf Zatopek referenzieren können. Aber es fällt immerhin drei Stunden lang kein komisches Wort über die Optik von Läuferinnen und die individuellen Leistungen auf der schwierigen Strecke werden gewürdigt. Es ist also möglich.
Titelbild © Hert Niks – Pexels.com
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