Heute will ich frühstückslaufen. Das habe ich nämlich noch nicht. Gefrühstückt, meine ich. Das Tier bekam dagegen bereits Fisch, was zu seinen Lieblingsmahlzeiten gehört. Damit es nicht gar so brummig ist, wenn ich ohne es laufen gehe. Statt Kaffeeduft und Marmelade hatte ich also heute bislang nur Dorsch in der Nase und jetzt, hier an der Festhalle in Frankfurt die charakteristische Geruchsmischung aus ungewaschenen Laufjacken, Perwoll Sport, Muskel-Fluid und Oh-Mist-ich-hab-vergessen-die-regennassen-Laufschuhe-aus-der-Tasche-im-Auto-zu-nehmen. Volkslaufgeruch.
Dabei ist ein Frühstückslauf gar kein Volkslauf, er ist ein Vorspiel, ein intimes Beisammensein mit gewisser Erregungsstufe. Unabhängig von der Teilnehmerzahl ist man beim Frühstückslauf unter sich. Alles und jeder atmet Marathon, ganz gleich, ob er am nächsten Tag startet, ob er Laufangehöriger ist oder einfach so mittrabt. Das Ereignis des Folgetags wirft, wenn auch nicht seine Schatten, so doch seine Lichtstrahlen voraus – dass es sich um ein sonniges Ereignis handeln muss, versteht jeder, der in das Gesicht von Dieter Baumann schaut. Der macht nämlich mal wieder das, was er neben Laufen besonders gut kann: Faxen. (Also nicht das, was piept und druckt, sondern das andere).
Hier ist alles vertraut: Die Stimme von Jochen Heringhaus, die Waden von Herbert Steffny, das stille Lächeln von Irina Miktenko, die konzentrierte Ruhe von Renndirektor Jo Schindler, der Blick über die Brille von Fotograf Norbert Wilhelmi, das Outfit vom ungekrönten Anfeuerkönig Michel, die inbrünstige gute Laune von Dieter Baumann und viele der üblichen Verdächtigen. Ich bin stolz, dass es in meiner Stadt so etwas gibt. Einen richtig fetten, internationalen pfeilschnellen Prachtmarathon, der manchmal so familiär anmutet wie ein Zwanziger in Großkrotzenburg. Ob der Frühstückslauf in Berlin auch so schnuffig ist?
Es fängt ja schon damit an, dass „unser“ Frühstückslauf Brezellauf heißt. Weil die Strecke in Form einer Brezel verläuft. Die von einem Bäckerlehrling in der ersten Woche geformt wurde. Einem blinden Bäckerlehling. Der in der Nacht zuvor sehr sehr viel getrunken hat. Na gut, die Strecke hat nichts von einer Brezel. Der Brezellauf heißt Brezellauf weil … weil… es hernach Brezeln gibt. So. Brezeln für alle. In Berlin war ich mal bei einem Pfannkuchenlauf mit Pfannkuchen für alle und ich war sehr ernüchtert, festzustellen, dass es sich dabei um Berliner handelt, also Kreppel. Nicht etwa frische Eierkuchen. Da ist Frankfurt doch viel klarer. Eine Brezel ist eine Brezel ist eine Brezel. Vielleicht heißt der Brezellauf aber auch so, weil sich einige dafür hübsch aufgebrezelt haben. Selbst Herren tragen Rock. Möglicherweise wird so ein Schuh draus. Das wiederum interessiert einige nicht im mindesten: Ich sehe drei Barfußläufer.
In diesem Jahr ist Reiseveranstalter interAir neuer Sponsor der Brezellaufs und der schmeißt sich richtig ins Zeug. So gibt es im Grunde gleich zwei Brezeln: Eine zum Essen (für alle) und eine am Medaillenband (auch für alle). Ich war aus mehreren Gründen in diesem Jahr volkslaufabstinent, aber ich gehöre in die Gruppe der Anonymen Volksläufer. Meine Neigung zum Gruppentraben werde ich wohl nie mehr ablegen können. Ein Blick auf eine Medaille genügt, und schon sucht meine Uhr einen Satelliten. Wir können nicht anders. Die Uhr und ich. Ein bisschen glücklich macht das schon. Und der Leber schadet’s auch nicht.
Und so ist mir das nachfolgende leistungslose Traben ein Fest. Als ich früher viele Kilometer auf der Autobahn verbracht habe (im Auto, nicht zu Fuß), kannte ich alle neuen Automodelle. Ich wusste, welche Lackfarben im Kommen sind und welche Blinkerformen. So ist es auch beim Volkslaufen: Wenn Kompressionsärmelstulpen hipp sind, sieht man es hier. Man weiß, was es gerade bei Aldi gab und was bei Tchibo. Ob der Asics Noosa Tri aktuell ein Arschgeweihmuster hat und ¾-Hosen mit Schlangenmuster angesagt sind. Endlich bin ich wieder mittendrin und kann mir alles ansehen. Wie hab ich diesen Catwalk, den Catrun vermisst! Und dann das Geräusch! Dieses rhythmische Tappeltappeltappel von aufgeschäumtem umweltschädlichen Gummi-Plastik-Gemisch auf Asphalt! Es ist wunderbar.
Über 5 km-Strecken muss man nicht viel reden. Ein bisschen Marathon-Strecke ist dabei und wenn man genau hinschaut, kann man sehen, dass bei einigen Läufern die Laufhosen unten etwas ausgebeult sind, weil gerade die Herzen hineingefallen sind. Morgen wird man hier laufen! Und dann bei km 36 sein! Krass, Alter. Und auch ein Stück Mainufer gehört dazu und das ist so heimatlich – für viele von uns. Die meisten Frankfurter haben hier viele Trainingskilometer abgewatzt. Beim Alleinelaufen schafft man es allerdings nie, dass der Holbeinsteg schwingt. Dafür braucht man schon einige dutzend entfesselte Brezelläufer.
Der Frankfurt Marathon, das als kleiner Exkurs und Blutdruckerhöhungsmaßnahme, die bei mir immer funktioniert, hat in diesem Jahr keinen Titelsponsor. Das bedeutet nicht nur, dass bei der TV-Übertragung vermutlich nicht mehr unbedingt 800 mal ein bestimmtes Fahrzeug gezeigt wird, es bedeutet auch, dass uns deutlich gemacht wird, dass wir keine Fußballer sind. Gold-Label des internationalen Leichtathletik-Verbands, Auszeichnung mit dem internationalen „Green award“ als umweltfreundlichster Marathon, ältester deutscher City-Marathon, die Nr. 2 nach Berlin, TV-Übertragung im hr, rekordfähige Strecke – und im ganzen Rhein-Main Gebiet, Deutschlands bärenstarke Wirtschaftsregion mit Finanzwirtschaft, Logistik, IT, will niemand Geld für ein solches Ereignis in die Hand nehmen? Es ist ätzend. Exkurs beendet.
Im Ziel müssen wir ein bisschen anstehen und warten, bis wir an die wie immer köstlichen bunten Rosbacher-Getränke kommen, aber Brezelläufer haben es nicht eilig und bleiben sehr gelassen. Ich ziehe mir die mitgebrachten Jacken an und friere kein bisschen. Dann gehe ich auf die Messe, plaudere hier und da und gebe Geld für ein Funktionsfetzchen aus. Ich muss schließlich im nächsten Jahr wieder auf den Catrun.
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3 Kommentare
Liebe Frau Schmitt,ich bin Morgen beim Marathon dabei, bin sehr, sehr aufgeregt und habe ich mich über den, wie immer, lustigen Laufbericht gefreut. Danke und viele GrüßeP.S. Ist morgen wieder der rosa Puschel im Einsatz und wenn ja dann wo?
Lieber Martin,danke! Ich bin da, wo ich immer bin! km 1, 3, 37 und 41! Ich weiß nicht, wie lange ich morgen durchhalte, da ich nicht ganz auf der Höhe bin und der Hund wartet. Aber ich tu, was ich kann!
ach liebe heidi, nun war ich wohl mehr als 7 wochen nicht gucken, was du so schreibst … das herbstgeschäft hatte mich täglich gute 10 h an den rechner geheftet, da war ich in den pausen und abends froh, nicht auf die Flimmerkiste zu gucken … nun sitze ich hier mit schnupfnase, ohne einen wochenendkilometer in den beinen, und will so langsam in die woche starten und schau mal leise auf deine Seite … ja menno, bist du gelaufen??? also die volle packung wieder? schön jedenfalls wie immer deine laufprosa zu inhalieren (deutlich anregender als ein kamillendampfbad…) und die kaffee-kuchen, in dem falle -brezelfotos, zu bewundern. ich kanns voll nachvollziehen, dieses: eine medaille blinkt und schon sucht dein ührchen die sateliten … man läuft ja deutlich öfter allein durch die pampa, deshalb ist es wohl immer wieder schön, sich ins bunte und recht sportlich duftende getümmel zu stürzen … dass der frankfurtmara allerdings keinen hauptsponsor hat ist schon echt fragwürdig, das ist ja nun wirklich ein großer lauf in deutschland … zumal die wirtschaft angeblich in deutschland nur so boomt … aber ok, klar, wir sind halt nicht Mister Fußball. aber von den mitstreitern der sportart langlauf gibts sicher nicht weniger als beim volkssport fussball, oder irre ich da so sehr?
wünsche dir und deinem fischliebhaber eine schöne entspannte adventszeit ohne schnuppen und heiserkeit, dafür mit ein paar lockeren laufkilometren, vielleicht ja auch ihr wieder gemeinsam … liebe grüße aus berlin schickt euch zweien
claudia