Der Great BUPA Ireland Run in Dublin (2007)

Der Great BUPA Ireland Run lässt sich – selbst mit großer Mühe – nicht im Hessischen Volkslauf-Kalender finden. Trotzdem will ich heute dort laufen. Man muss eben auch mal ab und zu geben können. Es ist Sonntag morgen und ich bin in Dublin. Der BUPA Run findet im Phoenix Park statt. Als ich höre, dass 9.000 Läufer in einer städtischen Grünfläche erwartet werden, zucke ich ein wenig mit dem Ellenbogen. Doch das ist völlig unbegründet: im Phoenix Park befinden sich die Residenzen der irischen Präsidentin und die des Botschafters der USA, das Hauptquartier der irischen Polizei, das Gästehaus für Staatsgäste und der Dublin Zoo – das spricht für reichlich Platz.

Schon auf der Hinfahrt streiche ich froh über meine Startnummer, auf der in großen Lettern „BUPA“ steht. Wenn ich beim Laufen soviel Spaß habe, wie beim Aussprechen des Namens, kann nichts schief gehen. In meinen Augen sollte BUPA Pudding herstellen oder wenigstens Kartoffelknödel. Leider ist BUPA ein Versicherungskonzern – allerdings mit ausgezeichneter Expertise im Veranstalten von großen Läufen. 



Heute ist ein ganz besonderer Lauftag. Nicht nur für mich, sondern auch für Sonia O’Sullivan. Die 37jährige Läuferin ist die Dieter Baumann Irlands, nur ohne Zahnpasta. Bei Europa- und Weltmeisterschaften holte sie insgesamt 6x Gold und 4x mal Silber, bei den Olympischen Spielen 2000 gewann sie die Silbermedaille über 5000 Meter. Sonia O’Sullivan ist eine Volksheldin, die alles hat, was man braucht, um eine zu sein: ein zurückhaltendes sympathisches Wesen, blitzschnelle lange Beine und reichlich Verletzungspech.

Heute will sich Sonia verabschieden. Von ihren Fans und vom Straßenlauf auf hohem Niveau. Dementsprechend kommen Läufer aus allen Teilen des Landes herbei geströmt. Damit man das auch sehen kann, hat sich BUPA etwas besonderes ausgedacht: jeder Läufer bekommt mit seinen Startunterlagen ein T-Shirt, auf das die Landesfarben der Grafschaft aufgedruckt sind, aus der er kommt. Ausländer und Spätmelder schlüpfen in ein allumfassendes Irland-Shirt. So soll obendrein ermittelt werden, welche Grafschaft die schnellste ist – ein hübsches und gemeinschaftsförderndes Spiel.

„No parking is available in the Phoenix Park“ steht in dem ausführlichen Faltblatt in unseren Unterlagen. In einem Anfall von Deutschsein nehmen wir diesen Hinweis ernst und parken weit vom Start entfernt. Auf unserem Weg im Park marschieren wir danach mit Todesverachtung an vielen Wagen vorbei, die sich völlig unbekümmert näher herangetraut haben. 
Es ist sonnig und das Gelatsche macht mir überhaupt nichts aus. Es sind ja auch nur 10 km, die ich später laufen will und das auch noch höchst gemütlich. Als wir uns dem Startareal nähern, verschwindet die Sonne hinter den Wolken. Es ist noch eine Viertelstunde bis zum Start der Kinder.

BUPA, der verhinderte Knödelhersteller, überrascht mich hier ein weiteres Mal mit einem liebevollen Detail. Zur Belustigung der Kinder läuft am Start ein überdimensionierter Herr im Schottenrock mit Dudelsack auf unsichtbaren Stelzen umher. Ich weiß zwar nicht so genau, was ein Schottenrock in Irland verloren hat, aber vielleicht ist es ja in Wirklichkeit in Irenrock und ich kann es als Laie nur nicht erkennen. In seiner Begleitung befindet sich ein Mensch im Hundekostüm – auf vier Stelzen. Die beiden verursachen großen Jux, vor allem, wenn der Hund das Bein hebt und aus einer Wasserdüse einen kräftigen Strahl pieselt. Die Kinder lachen und quitschen, jede Laufnervosität verfliegt.

Und dann sehen wir Sonia. Sie steht bei den Kindern und gibt fleißig Autogramme, bevor sie auf die kleine Starttribüne geht, um mit einer Hupdose den Startschuss zu geben. Sie wirkt entspannt und fröhlich und ihre Beine reichen bis an den Rocksaum des Komikers – ohne Stelzen. Sonia hupt, der Komiker dudelt und die Kinder flattern los. Nach etwas mehr als zwei Kilometern sind sie alle wieder da: die kleinen Rothaarigen mit den abstehenden Ohren, die Ehrgeizigen, die ihre Beine schleudern, als wollten sie sie loswerden, die Speckigen, die schon ganz weiß sind um die Nase vor Anstrengung, und die Kleinsten, die nichts von dem ganzen Spektakel verstehen, aber alles einfach nur toll finden. Die Kinder tragen schlechte Fußballschuhe, alte Baumwollhosen oder schwarze Strümpfe. Es macht Spaß, ihnen zuzusehen.

Nach dem Zieleinlauf der Kinder fallen wir in ein kleines Loch. Unser Start wurde nach hinten verschoben und der Himmel trübt sich. Im Geist übersetze ich die drei erlaubten Fortbewegungsarten während des Laufs. Walking: Latschen. Jogging: Hoppeln. Running: Watzen. Für ein deutsches Wort gibt es allerdings anscheinend keine Entsprechung: frieren. Seit die Sonne weg ist, haben wir die Reißverschlüsse unserer dünnen Windjacken bis zum Anschlag verschlossen und frösteln dennoch. Scheinbar sind wir damit allein. Der Ire an sich liebt die Sonne. Damit er keinen Strahl davon verpasst, legt er größtmögliche Hautareale frei. Das geht bis zur Schicklichkeitsgrenze und gelegentlich auch darüber hinaus. Verschwindet die Sonne, versucht er ihr mit eben jenen freiliegenden Hautflächen zu signalisieren: komm, hier lohnt es sich zu scheinen. Damit es sich doppelt lohnt, versucht er seine Flächen stetig mit Hilfe von Fish, Chips, Sausages und Guiness zu vergrößern. Was wiederum gegen das Frösteln hilft. Kurz: Iren haben den Bogen raus.

Wir zögern die Abgabe unserer Kleiderbeutel bis zuletzt hinaus, um uns danach ins warme Gemenge zu schieben. An meinem Trinkgurt habe ich nichts zu trinken, dafür aber einen Fotoapparat und ich knipse dankbar die paar Tausend Heizkissen um mich herum. Vom Aerobic Warm up ganz vorne bekommen wir nichts mit, aber die gelenkige Dame, die dafür zuständig ist, konnten wir schon vor dem Kinderlauf bewundern. Der Stelzenschottenire bespaßt jetzt mit seinem Hund auch die Erwachsenen, das verkürzt die Zeit.
Endlich geht es los. Den Starthup konnte dieses mal nicht Sonia geben, denn sie läuft ja mit. Dafür tut das jetzt Bertie Ahern. Bertie Ahern ist der Angela Merkel Irlands und so laufen wir gleich ein bisschen würdiger. Schon zu Anfang bin ich froh, dass ich hier nichts will, außer dabei sein. Das Feld ist eng – und ungeheuer undiszipliniert. Man bremst und bleibt plötzlich stehen, man walkt mitten im Feld, hier ist alles völlig egal. Um uns herum sind auffallend junge Leute, die zähen Zausel, die ich aus Deutschland kenne, sind hier rar. Man ist jung, hat ein paar Kilo zu viel und trägt rosa.



Kaum sind wir einige Minuten gelaufen, kommen wir am ersten Musik-Punkt vorbei. Auf der Wiese spielt eine verfilzte Reggae-Band auf, die aussieht, als hätte sie noch nie unter einem schneeweißen Party-Zeltdach einen Gig gehabt. Aber genau das haben sie hier. Läufer und Band freuen sich ausgiebig übereinander. Inzwischen ist die Rechnung der Iren voll auf- gegangen: die Sonne kommt hinter den Wolken hervor und bescheint jede einzelne Sommer- sprosse auf den schwitzigen Gesichtern. Auch uns wird es jetzt endlich schön warm. Dazu passt die nächste Musikeinlage: hier trommelt uns die altbekannte Samba-Formation den Laufrhythmus vor. Nicht schlecht für 10 km im Park.

Am Getränkestand auf der Hälfte der Strecke gibt es statt Pappbechern komplette kleine Wasserflaschen, die nach Gebrauch zu hunderten in die sattgrüne Wiese fliegen. Ich habe seltsame Skrupel, eine Flasche einfach so wegzuwerfen und deshalb nehme ich sie mit. In unserem Schlapp-schlapp-Tempo macht das gar nichts. Es geht jetzt sanft bergan, aber auch das stört nicht weiter.


Plötzlich sehe ich auf der Strecke zwei Engel mit lilafarbenen Flügeln. Sie geben gerade ein Interview (soviel Zeit muss hier sein) und ich möchte sie gern fotografieren. Ich erwische sie gerade noch, bevor sie weiterlaufen. Vermutlich sind sie für einen guten Zweck gestartet, wie es hier viele tun. 
Ich habe den Fotoapparat noch in der Hand, als wir die nächste Musikdarbietung erreichen. Langsam verstehe ich das Konzept: an jedem Musikpunkt gibt es eine völlig andere Musikrichtung. Der Lauf soll schließlich etwas für alle sein. Hier ist es eine Blaskappelle, die die Läufer unterhält. Ich habe es immer gewusst: BUPA versteht etwas vom Läufer-Glücklich-Machen. Die letzte Musikattraktion hätte ich beinahe nicht als solche erkannt: aus großen Boxen macht es Mumpf-Mumpf-Mumpf und der Tätowierte vor mir bekommt einen Schub.

Meinetwegen hätte es ewig so weiter gehen können. Die Musikpalette war schließlich noch nicht zuende, und BUPA hätte ich auch zugetraut, dass Bono mit einer Gitarre an der Strecke aufwartet. Aber leider sind 10 km ganz schön kurz und so müssen wir irgendwann ins Ziel. Ein Meer von Kameras empfängt uns, als wären wir soeben einen Weltrekord gelaufen. Auf dem Weg zu unserem Goody-Bag kommen wir an einem Mann vorbei, der in ein Diktiergerät murmelt. Ich stelle ein Ohr auf und höre: Asics, Asics, Brooks, Nike, Asics … Aha, hier wird also eine Erhebung gemacht und meine Füße bereichern jetzt eine irische Statistik. Schön. Im Beutel finden wir eine Medaille (natürlich mit grünem Band), eine silberne Wärmedecke (so eine wollte ich schon immer haben) und viele Kleinigkeiten.

Wir schlappen zurück zur perfekt organisierten Kleiderbeutelstation und nehmen unsere Habe in Empfang. Auf dem langen Weg zum Auto kaufen wir uns ein Softeis. Und weil wir keine Iren sind, lassen wir dabei sicherheitshalber eine Wärmedecke um unsere Schultern knistern.



Nachtrag:
 Sonia O’Sullivan erwischte keinen guten Tag und lief auf einen für sie enttäuschenden 11. Platz. Auf dem Zielfoto lächelt sie.

© Maiconfotografo – pexels.com


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