„Schnürsenkel, nichts als Schnürsenkel!“ Im Keller eines großen Laufschuhherstellers saß Arthur McLane und fädelte bunte Kunststoffbänder in Laufschuhe. Als „Chief Development Officer Laces“ war er seit 23 Jahren für die Entwicklung der Laufschuhsenkel zuständig. Lange hatte er gehofft, er könnte irgendwann in die Zwischensohlenabteilung wechseln, dorthin, wo die echten Innovationen gemacht werden. Oder wenigstens zu den Fersenkappen! Aber die Schnürsenkelabteilung war wie ein Fluch. McLanes Karriere war ins Stocken geraten. Einmal hatte er sich bei der Konkurrenz beworben, einem innovativen Hersteller in der Schweiz. Doch dann war ihm im Bewerbungsgespräch herausgerutscht, dass ihm sein derzeitiger Job enorm auf den Senkel gehe. Die Schweizer riefen natürlich nie wieder an.

Dabei hatte seine Laufbahn so gut begonnen! Nach einigen trostlosen Wochen bei den Ösen hatte er bei den Senkeln endlich etwas bewegen können. Er hatte die Laces aus Recyclingmaterialien entwickelt und die Neonfarbenen mit den Kontrastpaspeln. Er hatte die komplexe Umstellung vom traditionellen Baumwollflachwebsenkel auf den runden Spaghettityp aus Kunstfaser begleitet. Und: Er war der Erfinder des weltweit ersten Schnürsenkels in Wellenform. Und was war der Dank? 3D-Drucker! Es würde nicht mehr lange dauern, dann würden sich alle Laufschuhkäufer ihre Schnürsenkel zuhause ausdrucken – in allen Farben. Und das schlimmste: in Überlänge! All die Jahre hatte er dafür gekämpft, dass Schnürsenkel die Längennorm 73B II nicht überschritten. Er selbst hatte schmale Füße und fand längere Schnürsenkel äußerst unnötig. Menschen mit breiten Füßen blendete er hartnäckig aus. Aber nun war 73B II in Gefahr.

McLane wischte sich den Schweiß von der Stirn. Hatte er nicht schon einmal eine vermeintliche Zeitenwende überstanden? Damals in den 1980er Jahren drohte die ganze Abteilung von der neu gegründeten Klettverschluss-Unit überrollt zu werden. Doch dann war Klett plötzlich nicht mehr gefragt und McLane wieder im Spiel. Jetzt musste er nur noch sieben Jahre durchhalten, dann konnte er in den Ruhestand gehen. McLane grübelte. Irgendwie fühlte er sich den Senkeln ja auch verbunden. Noch einmal eine richtig starke Senkelinnovation entwickeln, das wär’s! Nur bitte keine Schnellverschlüsse, das wäre wirklich der Untergang jeder Senkelkultur. Aber was könnte er entwickeln? Vielleicht eine eckige Form? Versenkbare Senkel? E-Senkel, die sich per App schließen lassen? McLane stellte sich an sein Flipchart und begann zu zeichnen. Und während das große gläserne Gebäude des Laufschuhherstellers längst in nächtliches Dunkel getaucht war, brannte irgendwo im Keller in der Senkelentwicklungsabteilung das Licht noch bis in den frühen Morgen.

Titelbild © Nes – istockphoto.com


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4 Kommentare

  1. Und wie wird das erst wenn dann auch noch die KI ins Spiel kommt?
    Schön dass du wieder schreibst, liebe FrauSchmitt 🙂

    • Frauschmitt Antworten

      Hurra, der erste Kommentar auf der neuen Seite! Ja, nicht auszudenken … Allerdings habe ich jetzt festgestellt, dass ich in den vergangenen Jahren so einiges prognostiziert habe, was dann zum Glück doch nicht eingetroffen ist, zum Beispiel das Laufen mit Drohnen als Begleiter. Aber ich bleibe weiter gespannt, was so kommt. Gerade auch im Schnürsenkelbereich … Und: danke!

  2. Frau Schmitt sind sie’s. Allmächtiger, wo waren sie die letzten Jahre? An der Kuchentheke nach dem Volksläufle beim SV Lahmstadt oder wars bei der TSG Walkershausen? Fragen über Fragen. Wie soll ich heute Nacht meinen dringend benötigten Regenrationsschlaf finden?

    • Frauschmitt Antworten

      😀 Meine private Kuchentheke hat mich so in den Bann gezogen, dass ich 7 Kilo abnehmen musste. Das kommt davon. Ich hoffe, das Regenerationsschlafen ist geglückt!

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