Der Halbmarathon in Mörfelden-Walldorf (2007)

Wenn man aus Frankfurt kommend Richtung Süden fährt, kann man drei Autobahnen nehmen – sie führen alle nach Mörfelden. Auch zum Sportplatz Mörfelden führen alle Wege. Denn wir fahren so vor uns hin, nirgends ist ein Schild und plötzlich – huch – sind wir trotzdem da. Magie am Sonntagmorgen.


Am Sportplatz Mörfelden empfängt uns Cher. Sie kommt aus den kreisförmig angeordneten Boxen, die hoch über dem Sportplatz wachen, aus dem kleinen knarzigen Lautsprecher, der nach „Achtung, Achtung!“ aussieht und sogar aus dem Klo und der Damenumkleide. Dort ist es noch dunkel, nur eine einsame Tasche wird intensiv befragt, ob sie an „love after love“ glaubt. Cher singt für die Tasche, als ginge es um ihr Leben. Es ist unglaublich laut. Und außer Cher ist niemand da, den ich nach der richtigen Kleidung fragen könnte. Es sind sieben Grad, aber es ist feucht und ungemütlich. Mütze oder Kappe? Shirt oder Weste? Ich gehe nach draußen, um die Lage zu testen.

Während wir uns einlaufen, beginnt es regnen. Ein freundlicher Sprecher löst Cher ab und erzählt uns, dass der Verein in diesem Jahr leider nicht für das Wetter verantwortlich zeichnet. Das lässt nichts Gutes ahnen.

Ich gehe zurück in die Kabine, um mich zu wappnen. Dort brüllt inzwischen Madonna, dass sie dabei ist, den Verstand zu verlieren. Vielleicht war sie ja auch mal in der Damenumkleide in Mörfelden.

Von der Beschallungslautstärke abgesehen bleiben in Mörfelden keine Wünsche offen. Noch traumatisiert von meinem gestrigen Fernseherlebnis mit „Deutschland sucht den Superstar“ denke ich, dass Mörfelden bei „Deutschland sucht die Super-Volkslauf-Damentoiletten-Situation“ auf jeden Fall unter die Top Ten käme. Man muss nicht einmal anstehen.

Es geht zum Start. Der Sprecher erklärt uns, dass die Zeitnahme „teilweise vollelektronisch“ funktioniere, da man inzwischen „verwirelesst“ sei. Dieses wunderschöne Wort entschädigt mich für den sich langsam eingroovenden Regen.

Die Halbmarathon-Strecke in Mörfelden ist sehr abwechslungsreich: man läuft geradeaus, dann links, dann rechts, dann um ein Hütchen herum, dann wieder geradeaus, dann um den Sportplatz herum und dann alles wieder von vorn. Aber es ist sozusagen Saisonstart und beim Saisonstart ist die Strecke egal. Hauptsache irgendwo rummst endlich mal wieder ein Startschuss.

Sechs Kilometer nach dem Rummsen kriege ich Seitenstechen. 
Ich habe nie Seitenstechen. Warum auch. Ich bin nicht zu schnell, nicht zu langsam, es ist Sonntag, zuhause wartet eine Badewanne – warum sollte ich Seitenstechen haben? Habe ich aber. Ich laufe mit erhobenen Armen, ich drücke fest auf die betroffene Stelle, ich atme aus, wie ein Walross – nichts. Das Stechen bleibt. Nicht so der Regen. Er wird stärker, die Strecke zunehmend matschiger. Alle Waden vor mir sind braun besprenkelt.

Ich versuche mich abzulenken und stelle mir die Sendung „Deutschland sucht den Superläufer“ vor. In der Jury sitzen Reinhold Beckmann, Jürgen Hingsen und Margarethe Schreinemakers. „Wenn Du an Deinem Seitenstechen nicht arbeitest, wird es für Dich ganz ganz schwer werden.“ sagt Schreinemakers zu mir und Beckmann ergänzt: „Du musst auch daran arbeiten, dass es über Dir nicht dauernd regnet.“ Ich hatte schon bessere Ideen, um mich abzulenken.

Die Stadionrunde ist hart. Es zwackt und piekst unter meinen Rippen, ich bin eigentlich am Ziel und muss doch noch 10 km weiter laufen. Psychologisch ist das überhaupt nicht nett. Aber der Sprecher im Stadion begrüßt mich und weiß sogar, wie schnell ich letztes Jahr hier gelaufen bin. Tatsächlich: voll verwirelesst. 

Ich gehe ein paar Schritte. Mit diesem Gepiekse kann ja kein Mensch laufen. Männer der M70 überholen mich, vom Schild meiner Kappe tropft es in immer kürzeren Abständen. Mir ist kalt. Ich will ins Trockene. In diesem Tempo wird das nie was.

Ich versuche mich wieder abzulenken, dieses Mal beobachte ich die entgegen- kommenden Läufer. Sie sehen alle aus wie depressive Biber. Die Nässe spritzt und matscht und klatscht und quietscht. Es ist so albern, wie wir alle hintereinander- hermatschen, dass es schon wieder lustig ist. Und mein Seitenstechen wird besser. 
Ich hole die Männer der M70 wieder ein und sogar noch ein paar jüngere. Der Stall ruft. 

Im Ziel gibt es einen mit Regenwasser verdünnten Tee und mit 1:52 eine gediegene Zeit. Zufrieden gehe ich mit David Hasselhoff in die Umkleide. Als alles wieder trocken ist (außer den Füßen), werde ich mit einem Finalisten von „Deutschland sucht den Super-Kirschkuchen“ belohnt. Während wir zum Auto gehen, hört es auf zu regnen.

Titelbild © Serhii Moiseiev – istockphoto.com


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