Was zieht man in den schweißtreibenden Sommermonaten am Besten zum Laufen an? Manche Läufer kennen eine verblüffend einfache Antwort: nichts!
Wer an einem Volkslauf teilnimmt, freut sich in der Regel über Zuschauer. Fans, die anfeuern, trommeln und den Läufern bewundernde Blicke zuwerfen. Die rund 50 Teilnehmer, die für den 12-Stunden Lauf am See Zieselsmaar in Kerpen gemeldet waren, hatten für Publikum allerdings nicht viel übrig. Es sei denn, die Zuschauer waren genauso gekleidet wie sie: gar nicht. Denn der Lauf, der Ende Juni zum ersten Mal stattfand, ist ein so genannter Naturistenlauf – in seiner Ausschreibung war der Verzicht auf Kleidung als Teilnahmevoraussetzung festgelegt. Der Naturistenlauf am Strand von Sopelana in Spanien, der Nacktlauf auf dem Roskilde-Festival in Dänemark, das BARE-2-BREAKERS-Treffen in San Fransisco – überall auf der Welt finden im Sommer Nacktläufe statt. Zum Teil gibt es sie schon seit vielen Jahren – Anstoß erregen sie in der Bevölkerung kaum. Aber was passiert, wenn passionierte Nacktläufer auch bei Trainingsläufen außerhalb abgesteckter Routen die Tights fallen lassen?
„Das stört höchstens eine verklemmte Minderheit“, meint Dr. Peter Niehenke, Sexualtherapeut, Astrologe und Deutschlands berühmtester Nacktjogger. Vor einigen Jahren lief er beinahe täglich durch Wiesen, Städte und die deutsche Medienlandschaft. Sein Anliegen: Nacktheit ist ein Bürgerrecht. Wer nackt laufen, radfahren oder snowboarden will, sollte dies tun dürfen. Unbehelligt und frei. Doch trotz der von ihm beschworenen Akzeptanz erwies sich Niehenkes Leidenschaft als ein Hobby für Besserverdiener. In seiner Heimatstadt Freiburg musste der kälte- und kritikresistente Bürgerrechtler insgesamt mehrere tausend Euro Ordnungsgeld begleichen. Die Boulevardpresse nannte Niehenke bald „Den Nacktläufer von Freiburg“. Das klingt ein wenig wie „Der Kalif von Köln“ oder „Der Kannibale von Rotenburg“. In jedem Fall gefährlich und kriminell. Die Fährte ist falsch – ein Gesetz, das Nacktsein in der Öffentlichkeit verbietet, gibt es nicht.
Ohne alles für alle.
Es liegt nahe zu glauben, dass Niehenkes Überzeugung kaum Anhänger hat. Doch in vielen Bekleideten steckt ein heimlicher Nackter. Den medienwirksamen Konfrontationskurs mögen allerdings die wenigsten. Horst Kehm, Mitinitator der Seite www.nacktjoggen.de und Teilnehmer an regelmäßigen Nacktlauftreffs steht Provokationen skeptisch gegenüber.
„Wir wollen uns niemandem aufdrängen. Akzeptanz erreicht man eher nach und nach als mit der Hauruck-Methode.“ Wie Kehm bevorzugen immer mehr Naturisten den sanften Kampf. Gegen Vorurteile, gegen die Einordnung in die Schmuddelecke und den Vorwurf, sich auf Kosten anderer exhibtionieren zu wollen. Nacktläufer verweisen hier gern auf ihren Urvater: seit den 15. Olympischen Spielen 720 v. Chr. gilt Orsippos von Megaron als der erste unbekleidete Läufer. Es hieß, sein Verzicht auf den damals noch üblichen Lendenschurz habe ihm zum Sieg verholfen und so taten es ihm in der Antike bald viele Sportler gleich.
Aber wofür das Ganze heute? Warum muss man im Zeitalter federleichter High-Tech Textilien beim Sport unbedingt zum Freischwinger werden? Warum treffen sich Menschen zum Nacktjoggen, Nacktradeln, Nacktreiten oder Nacktgolfen? Die erste Antwort, die Naturisten auf der ganzen Welt geben, lautet: Freiheit. Wenn nichts einengt, die Luft ungehindert den Körper umströmt, sprechen textillose Läufer von „Einssein mit der Natur“, von „Leichtigkeit“ und „intensivem Körpergefühl“. Gelegentlich werden auch religiöse Motive angeführt. Man akzeptiert sich eben so, wie Gott einen schuf.
Wo nichts ist, wird nichts nass.
Klaus Hartmann, FKK-Anhänger und wie Horst ein Vertreter der „sanften Konfrontation“ hat obendrein ganz praktische Argumente. Nach seiner Erfahrung funktioniert beim Nacktlaufen der natürliche Temperaturausgleich über die Haut viel besser als mit Kleidung. Kai Marquardt, Geschäftsführer des Sportartikelherstellers RONO Innovations hält das für eine Illusion. „Funktionelle Sporttextilien leiten den Schweiß vom Körper weg. Sie kleben nicht auf der Haut und können sogar für Kühlung sorgen. Somit temperieren sie den Körper optimal. Vom Schweiß klebrig gewordene Haut reibt sich außerdem schneller wund. Ausdauernaturisten berichten in der Tat von unangenehmen Scheuerstellen. Damit unterscheiden sie sich allerdings nicht unbedingt von angezogenen Läufern. Wunde Brustwarzen kennen Nacktjogger zumindest nicht. Die Witterung setzt dem Naturerlebnis zweifelsohne Grenzen. „Bei 13 Grad und Wind ist Schluss“ bedauert Horst. Frauen brauchen beim Nacktlaufen ein besonders dickes Fell – der Verzicht auf einen Sport-BH wird leicht zu einer überaus öffentlichkeitswirksamen Erfahrung. Organisatoren von Nackt-Volksläufen haben deshalb ein Einsehen: sie erlauben neben Socken, Schuhen und einer Kappe in der Regel auch ein Bustier.
Mehr Fun als Run.
Textilverweigerer sprechen von verbesserter Leistungsfähigkeit – doch um Bestzeiten geht es bei diesen Funruns kaum. Auch beim 12-Stunden Spenden-Lauf in Kerpen liefen alle Altersgruppen mehr für den guten Zweck als die gute Platzierung. Für Dr. Niehenke haben solche Spektakel ohnehin an Reiz verloren. Das Nacktjoggen hat er inzwischen weitgehend aufgegeben und sich stattdessen einer Naturerfahrung der etwas anderen Art zugewandt: mit mehreren Initiativen widmet er sich heute „dem Morast in der deutschen Justiz“.
(Erschienen in der Runner’s World August 2010)
Titelbild © PeskyMonkey – istpckphoto.com
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