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Über das Volkslaufen.

So, Jul 28, 2013

Schnipsel

Über das Volkslaufen.

Es ist nicht ganz einfach, etwas regelmäßig zu tun, dessen Bezeichnung einem nicht behagt. Ich gehe zum Beispiel volkslaufen und kann mit diesem Wort so gar nichts anfangen. Ich gehöre einer der Generationen an, bei denen beim Begriff „Volk“ irgendetwas Komisches klingelt. Als hätte gerade der „Völkische Beobachter“ das „Volk ohne Raum“ beklagt. Was das „deutsche Volk“ sein soll, habe ich ohnehin nie begriffen. Volkslauf klingt außerdem wie Menschenauflauf und das ist nun wirklich nichts, was mich anzieht. Nicht einmal mit Käse überbacken.

Ich bin in der Südpfalz aufgewachsen, einer Gegend mit einer sehr lebendigen Volkslaufszene. Eine Volkslaufstrecke ging an unserem Haus vorbei und ich kann wirklich nicht behaupten, dass es mich als Kind beeindruckt hätte. Mein Vater, seit jeher der SPD zugewandt, stand Körperertüchtigungen, die etwas mit „Volk“ zu tun haben, ablehnend gegenüber und das färbte auf uns ab. Zumal mein Abschneiden im Schulsport mit dem Wort „Desaster“ beschönigend ummäntelt ist.

Die Begriffsalternative „Wettkampf“ macht mich auch nicht viel froher. Wettkampf mag auf die zutreffen, die zu Leichtathletik-Meetings fahren. Oder bestenfalls auf die, die gewohnt sind, von ihren Läufen schlecht verleimte Blech-Urnen für Wellensittiche mit einem Sockel aus Marmor-Imitat und ein Zellophangebinde der örtlichen Drogerie aus Waschlappen und Duschgel mit nach Hause zu bringen. Sieger eben, die sich in Wettkämpfen durchsetzen. Aber fährt man zu einem „Wettkampf“, wenn man voraussichtlich als 496ste ins Ziel kommt?

Ich spreche immer gern vom „um die Wette laufen“, was zugegebenermaßen etwas sperrig ist. Aber es transportiert das kindliche Vergnügen, um das es für mich geht. „Wer zuerst an dem Baum da vorne ist – drei, zwei, eins!“ – damals war es vollkommen egal, wer zuerst an dem Baum war, es ging ja nur darum, der Lust am Laufen eine Art Rahmen zu geben. Und darum geht es heute noch. Drei, zwei, eins, peng!

Das Ziel muss man mir heute nicht mehr zeigen, aber die Lauffreude ist die gleiche.

Das Ziel muss man mir heute nicht mehr zeigen, aber die Lauffreude ist die gleiche.

Meinen ersten Volkslauf absolvierte ich zwei Monate nach Beginn meines Läuferlebens, vor 14 Jahren. Ich kann also sagen, dass ich nie nur Läuferin war, sondern immer auch Volksläuferin. Für Frauen meiner Leistungsklasse ist das eher ungewöhnlich. Ich kannte jemanden, der Volksläufe machte. Und der sagte: Du kannst es ja mal versuchen. So einfach ist das manchmal. Ich lief 5 km in Großkrotzenburg, im Wald, ohne Zuschauer und Sambatrommler. Wie eine Konrad Lorenz’sche Graugans bin ich bei dem geblieben, was ich zuerst erlebt habe. Diese Volksläufe sind mir bis heute am liebsten. Die Länge freilich habe ich ausgedehnt, die war ja nur dem Novizentum geschuldet. 31 Minuten habe ich damals gebraucht. Und ich dachte: Das ist doch gar nicht so übel für jemanden mit einer fünf in Sport.

Gut organisiert und familiär: Volksläufe in der Provinz wie hier in Obertshausen.

Gut organisiert und familiär: Volksläufe in der Provinz wie hier in Obertshausen.

Seither stehe ich in der Saison sonntags öfter mal um sechs Uhr auf, um irgendwo anzutreten. Die Läufe halten mich bei der Stange. Sie sind mein Tempotraining und sorgen für Erfolgserlebnisse. Sie bestätigen mich, dass mein Schulsportdebakel nicht daran lag, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, sondern daran, dass so ziemlich nichts mit meinen Sportlehrerinnen stimmte. Selbst nach 30 Jahren tut das noch gut. Einmal bin ich bei einem Lauf erste Frau geworden, einmal letzte. Beide Erlebnisse möchte ich nicht missen. Einmal bin ich bei einem 25er nach 20 km ausgestiegen, weil ich unfassbare Leibkrämpfe hatte, auf dieses Erlebnis hätte ich verzichtet, wenn es mir jemand feilgeboten hätte.

Ich laufe auf Strecken, die anders sind als meine Hausstrecke, ich mag die Vielfalt und Abwechslung. Ich mag die Atmosphäre. Ich mag erwachsene Menschen in albernen kurzen Hosen. Ich mag erwachsene Menschen, die durch Pfützen springen und im Regen lachen. Ich mag die Alten, die mich motivieren, immer weiter zu laufen. Und besonders mag ich die Armee aus Muttis und Omis, die morgens mit liebevoll abgedeckten Blechen und atommeilergroßen Tortenhauben anrücken, um die Kuchentheke für Läufer zu bestücken. Man kann sich mit anderen messen auf der Strecke, man muss es aber nicht. Man lernt, sich schwierige Strecken einzuteilen. Und vor allem lernt man, durchzuhalten, viel mehr als beim einfachen Morgenlauf zuhause. Ein Start, ein Ziel, dazwischen ein Auf und Ab, viel Willen und Zuversicht – das trainiert zu haben, immer wieder, hat mir im Leben schon oft geholfen.

Meine Kuchenfotos gibt es seit 2007.

Meine Kuchenfotos gibt es seit 2007.

Seit 2004 schreibe ich über Volksläufe, laufen-mit-frauschmitt.de wäre ohne sie nicht zustande gekommen. Auch nicht die Artikel in der Runner’s World, die ich gelegentlich schreibe, nicht die Laufkolumne für die AOK Hessen und schon gar nicht das Buch.

Heute Morgen bin ich in Obertshausen-Hausen zum 9. Mal angetreten. Es war mein 200ster Volkslauf. Wenn ich gesund bleibe, werden noch viele weitere folgen.

8Antworten um “Über das Volkslaufen.”

  1. Ariana Says:

    Ich muss zugeben – ich mag das Wort „Volkslauf“ auch überhaupt nicht. Glücklicherweise bezeichnet man in der Schweiz Läufe auch nicht als „Volksläufe“ sondern einfach nur als „Lauf“ oder „Rennen“ – das hört sich irgendwie natürlicher an.

    Liebe Grüsse
    Ariana

  2. Matthias Quaschning-Kirsch Says:

    Mit dem Volk habe ich da weitaus weniger Schwierigkeiten. Als ich klein war, war meine Welt an zwei Seiten nach 20 km zu Ende. Einfach zu Ende! Bis plötzlich aus heiterem Himmel lauter Leute jenseits der Grenzen dieser Welt lauthals feststellten: „Wir sind das Volk!“ und dann einfach in meine Welt herüberkamen. Dieses außerirdische Volk verbrachte die eiskalten Novembernächte in mitgebrachten Kleinstautos. Und morgens kauften wir dann die Bäckereien leer oder buken Kuchen und errichteten in allen möglichen Sälen flugs improvisiert aussehende, aber reich ausgestattete Buffets (ähnlich schön und liebevoll wie das, dessen ich heute am Rande des Hausener Volks-Waldlaufs teilhaftig werden durfte; ich hatte übrigens Quart-Mohn-Torte und Schokoladen-Rührkuchen mit jeder Menge Schokostücken; herrlich!), an denen das Volk sich dann traf und auf Thüringisch, Sächsisch und Ostfälisch miteinander parlierte.

    Das Volk, das sind, zumindest wenn es gut läuft, diejenigen, die gerade nicht als graue Masse dahertrotten (so wie diejenigen das gern hätten, die beschwörend vom Volke zu reden pflegen, denen man aber nicht alles glauben darf), sondern die sich ihr Tempo nicht diktieren lassen, sondern jeweils in ihrem eigenen Rhythmus laufen und trotzdem irgendwie gemeinsam unterwegs sind.

    Gruß
    Matthias

  3. Manul Says:

    Ich glaube ich habe in meinem Blog noch nie das Wort Volkslauf erwähnt – auch wenn es dort bereits Berichte zu 100 Laufteilnahmen gibt 🙂 Bei mir sind es einfach Läufe 🙂

    Hast Du denn einen (Lieblings)Volkslauf?

  4. admin Says:

    Naja, irgendwie muss man die Läufe mit Startschuss ja von denen ohne unterscheiden. Wenn ich sage: Ich habe einen Lauf gemacht, könnte es ja beides heißen. Ich habe mehrere Lieblingsläufe, es ist schwer, da einen rauszunehmen. Landschaftsläufe mit ein paar Steigungen sind immer ganz schön. Und wegen mir müssen es nicht 1000 Teilnehmer und mehr sein. Lieber weniger.

  5. whiteytah Says:

    Von mir herzlichste Gratulation zum 200ten!

    Danke, dass Du seinerzeit einfach angefangen hast und dabei geblieben bist. Danke für Laufen-mit-Frauschmitt, Danke für die Kolumne bei der Runners World und der AOK und Danke für das Buch. Danke für die tolle Unterhaltung abseits der Strecke über die verschiedenen Strecken und Läufe.
    Ich wünsche uns Leser, aber besonders Dir, dass Du noch viele viele Läufe gesund und munter erlebst und darüber berichtest!

    Herzliche Grüße,
    Thomas

  6. admin Says:

    Das ist aber reizend von Dir, danke Thomas!

  7. Shan Dark Says:

    Ein sehr persönlicher, schöner Artikel, der auch „Über Heidi & Laufen“ hätte lauten können. Dann hättest Du das ungeliebte „Volk“ umgangen 😉
    Danke für die Einblicke und immer schön fit bleiben! Wir wollen mehr lesen.

    PS: Gerade jetzt im Wahlkampf würde etwas ‚Nähe zum Volk‘ beim Volkslauf manchem Politiker sicher paar Stimmen bringen. Gibt es eigtl. laufende Politiker?

  8. Simon Says:

    Wie immer sind’s wir Deutschen, die mit vermeintlich bösen Wörtern wie „Volk“ ein Problem haben und sich kaum trauen, es hörbar auszusprechen.
    Dabei trifft’s Volkslauf wie kein anderer Begriff, schließlich wird hier jedermann und – politisch korrekt – jederfrau zum Mitmachen aufgefordert.

    Meine Oma sagt immer „Guck dir mol dees Völkle an“, wenn sie eine Menschengruppe >3 sieht. Volk ist für sie einfach eine Menschenansammlung, egal aus welchem Grund 🙂

    Ich frag mich gerade, was nicht mehr unter Volkslauf läuft. Berlin Marathon? Olympische Spiele? Selbst größere Wettläufe wie hier der Marathon in Köln sind Volksläufe – vorne die Pofis und überambitionierten Amateure, in der Mitte der Rest und hinten ich.


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