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Die ganze Welt des Laufens.

Die ganze Welt des Laufens.

Der Halbmarathon in Obertshausen-Hausen (2009)

Heute fahren wir nach Obertshausen. Genauer gesagt, nach Hausen. Einem der zwei Ortsteile von Obertshausen. Der andere heißt nicht etwa Oberts, sondern auch Obertshausen. Das ist alles sehr verwirrend und ich bin froh, dass ich heute hier nicht die Ortschronik schreiben muss, sondern nur einen Laufbericht. Wir rollen also in den Ortsteil und gleich fällt mir ein Slogan für ein Parkhaus ein, den ich gestern gelesen habe: „Die ganze Welt des Parkens.“ Auch uns bietet sich hier die ganze, faszinierende Welt des Parkens: zwei Autos und dazwischen eine ausreichend große Lücke. Herrlich.

Ich will heute nach langer Zeit einmal wieder einen Halbmarathon laufen. Das letzte Mal, dass ich 20 km gelaufen bin, war im November oder Dezember. Das macht mich – nun ja – ein wenig nervös. Lange Läufe zwischen 15 und 20 km habe ich in den letzten Monaten auch reichlich wenige im Laufbuch. Dabei habe ich doch gelernt, dass es genau diese Läufe sind, die man machen muss. Damit die Muskulatur sich daran gewöhnt, möglichst lange submaximal zu kontrahieren. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, aber man kann es überall lesen. Weil mir der Begriff „submaximal“ so gut gefällt, habe ich es mir gemerkt.

Ich bin also heute sehr gespannt, wie, warum und wohin meine Muskulatur kontrahiert. Der Halbmarathon in Obertshausen (Hausen) ist eine einzige Waldschneiserei. Es schneist links, dann schneist es rechts, dann wieder links. Keine Anstiege, keine Seeumrundung. Einfach nur solider, deutscher Wald. Nicht sehr spektakulär. Im Grunde weiß ich auch nicht, warum ich heute hier zum neunten Mal antrete. In Obertshausen gab es mal eine Bürgermeisterkandidatin der SPD, die Mechthild Schmitt hieß. Aber das allein kann es ja auch nicht sein. Außerdem hat sie die Wahl nicht gewonnen. Man erlebt hier bestenfalls die halbe Welt des Laufens. Es scheint also so zu sein, als wäre bereits die mickrige Hälfte für mich außerordentlich anziehend und schön.

Als Dame kleidet man sich in den Kellergewölben der Picard-Halle um, die nicht etwa nach Handtaschen benannt ist, obwohl das bekannte Lederwarenunternehmen in Obertshausen seinen Sitz hat. Sie heißt nach einem ehemaligen Vereinsvorsitzenden, den man damit vermutlich für besondere Dienste um den Sportverein ehrte. Picard heißt man in Obertshausen öfter, es ist anzunehmen, dass Jean-Luc Picard, Kapitän der USS Enterprise, auch von dort stammt.

Ich ziehe mich also in der Picard-Halle um und beobachte dabei eine Dame, die sich die kompletten Beine mit Vaseline einreibt. Es erinnert eher an die Vorbereitungen zu einem Bodybuilding-Wettbewerb, denn die Beine beginnen augenblicklich zu glänzen. Vielleicht will sie die Konkurrenz müde spiegeln. Ich sehe von Vorbereitungen dieser Art ab und bin schnell fertig. Im Gang zur Umkleide haben sich inzwischen Horden apfelschorlengefüllter Menschen angesammelt, denn hier sind die Toiletten. Wie so oft sind es zu wenige.

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Ich treffe mich mit meinem Trainingspartner draußen, in der Hoffnung, beim Einlaufen im Wald ein kuscheliges Gebüsch   zu finden. Die erfüllt sich nicht, rund um das kleine Stadion ist einfach zu viel los und auch nach so vielen Jahren Laufen gehe ich ungern pinkeln, wenn Menschen dabei an mir vor- beihasten. Das Problem löst sich, als wir den Weg zur anliegenden Schule sehen, die heute ihre Pforten geöffnet hat. Obertshausen kümmert sich also doch um die Bedürfnisse seiner Läufer.

Ich glätte noch einmal meine backblechgroße Startnummer über meinem Bauch und dann geht es auch schon los. Nach einer ¾ Stadionrunde zielt der Weg in den Wald. Auf den ersten zwei Kilometern drängelt es sich ein bisschen, aber dann ist bald genug Platz für alle. Meine Uhr zeigt seltsame Zwischenzeiten und ich bin irritiert. Sollte ich mein Tempogefühl völlig verloren haben? Bei km 5 ist aber alles im grünen Bereich und ich beschließe, dass die Kilometerschilder mit submaximaler Genauigkeit aufgestellt wurden. Seit einer Weile laufe ich mit einem Stein im Schuh. Es fühlt sich nach einem wahren Bergwerk an, ein Gefühl hinter dem erfahrungsgemäß ein Steinchen in Nanopartikelgröße steckt. Ich arbeite den Stein laufend unter das Fußgewölbe.

Schon bald läuft vor mir ein Riese. Zwar ist die Strecke nicht übermäßig aufregend, aber es kann zuweilen nützlich sein, wenn man sieht, wo man hinläuft. Mit dem Riesen als Hase ist das schwer möglich. Andererseits ist mir der in den Himmel ragende Rücken irgendwie nicht unsympathisch. Er riecht nicht schlecht, macht keine unangenehmen Geräusche und hat keine nässenden Ekzeme im Nacken. Also nehme ich mein Schicksal an und laufe ihm einfach nach. Schneller will ich einfach gerade nicht. Ich muss schließlich mit meinen Kräften haushalten. Und außerdem sind wir im Wald und nicht im Kino. Ich sehe noch genug. Der Stein im Schuh sitzt jetzt unter dem Ballen.

Zwei Kilometer später hat sich das alles ohnehin erledigt, der nette Riese wird langsamer. Oder werde ich schneller? Naja, vielleicht ein bisschen. Jetzt läuft eine Dame in neongrünem Shirt an mir vorbei. In pinkfarbenen Lettern steht darauf: „Schöne Männer und Weltfrieden Klein-Auheim“. Während ich noch darüber nachdenke, ob in Klein-Auheim der Wunsch nach dem Genannten besonders dringlich ist, oder ob Klein-Auheim hier als Quell für selbiges angepriesen werden soll, beschließe ich, Ruhe zu bewahren. Nichts soll mich dazu verleiten, schneller zu laufen, als ich dauerhaft kann. Ich muss ja noch eine Weile kontrahieren. Und der Stein im Schuh ist an den Zehen angekommen.

Obertshausen-T-Shirt

Als nächstes ereilt mich eine akustische Herausforderung. Ein Läufer hat Kleingeld einstecken. Viel Kleingeld. Ich bin ratlos? Warum nur? Was denken sich Volksläufer, die Kleingeld mit auf die Strecke nehmen? Dass Ganoven unmittelbar nach dem Startschuss die Umkleide entern, um Läufern 4 Euro 80 (in zwanzig Cent-Stücken) aus der Tasche zu reißen? Hat man ihnen nicht gesagt, dass die Verpflegung an der Strecke nichts extra kostet? Erwarten sie, unterwegs einzukehren, wie bei einer Bergwanderung? Ich weiß es nicht. Ich muss gelegentlich mal so einen Klingelbeutel fragen. Mein steinerner Begleiter im Schuh probiert jetzt alle Zehen als Unterschlupf durch.

Die Kilometerbeschilderung ist nach dem Countdown-Prinzip beschrieben, was viele Läufer irritiert. Da steht etwa: „noch 9 km“. Mir ist das recht. Ich zähle in meinem Kopf ohnehin gerne herunter. Für heute habe ich mir eine besondere Rechnung ausgedacht, die ich immer dann anwende, wenn Schlaffheit droht und ich meiner Form nicht sicher bin. Mein Zeitziel für heute ist verhalten: ich möchte weniger als 2 Stunden brauchen. Jetzt arbeite ich auf den Kilometer hin, ab dem ich dieses Ziel erreiche, selbst wenn mir durch einen Einbruch von da ab nur noch ein Tempo von 6 Minuten/km möglich sein sollte. Bei km 13 ist es soweit: wenn ich ab jetzt im 6er Schnitt weiter schlunze, komme ich immer noch unter 2 Stunden rein. Herrlich. Alles andere ist jetzt Kür. Und der Stein ist weg. Keine Ahnung, wohin der sich verkrochen hat.

Inzwischen sind die 10km-Läufer an uns vorbeigezischelt, die 20 Minuten später gestartet sind. Ich mag das gern, schnelleren Läufern zu begegnen. Es ist ein schönes Unterhaltungsprogramm, wenn dünne Jungs mit Flatterhosen an einem vorbeihechten. Man kann auch gleich einen Siegertipp abgeben. Am Rand der Strecke stapft gerade ein Fotograf durch die Brennnesseln. Er hält vermutlich Ausschau nach der ersten Frau der 10er. Bedauere, nein.

Jetzt läuft ein Läufer mit einem Saucony-Shirt vor mir. Obwohl der Hersteller Unmengen Werbegeld investiert hat, um mir beizubringen, wie man ihn ausspricht, vergesse ich es immer wieder. Sossoni? Sokoni? Ich würde ja den T-Shirt-Besitzer fragen, aber der ist verkabelt. Weiße Schnüre hängen aus seinen Ohren. Wenigstens muss er so Mr. Viereuroachtzig nicht hören.

Ich rechne bei jedem Kilometer meine mögliche Zielzeit aus, immer unter der Prämisse, dass ich auf der Stelle nur noch einen 6er-Schnitt würde laufen können. So wird die Zeit mit jedem Kilometer besser. Noch wage ich nicht zu prognostizieren, dass ich mein Tempo halten kann, obwohl ich im Grunde weiß, dass jetzt nicht mehr viel passieren kann. Noch vier Kilometer Schneisensightseeing. Ein bisschen Wasser habe ich unterwegs getrunken, die letzte Station lasse ich aus. Ich mag jetzt nicht mehr wieder anlaufen müssen. Ich ziehe an „Schöne Männer und Weltfrieden“ vorbei und an vielen anderen auch. Das geht einfach so. Die Body-Memory funktioniert, mein Körper kennt die Strecke. Das mit dem Kontrahieren hat er noch nicht vergessen. Die Stadionrunde braucht noch einmal etwas Kraft, aber das ist der Fluch aller Stadionrunden. Ich holze mit 1:54:40 und einem triumphierenden Steinchen am großen Zeh ins Ziel.

Das dichte, weiche Gras des Stadions riecht, als hätte man „Eau de Rasen“ darauf versprüht. Hier liegt es sich hervorragend, während man darauf wartet, dass Getränkenachschub geholt wird. Hier lässt es sich auch hervorragend barfuss auslaufen, nachdem man das piesakende Steinchen aus dem Schuh gebastelt hat.

Obertshausen-Bambini-1

Obertshausen-Bambini-2

Obertshausen-Bambini-3

Obertshausen-Bambini-4

Es folgt das Obertshausenritual: Kuchen und Kaffee holen, mümmeln und Bambini-Läufe gucken, bei denen winzige Kinder von gigantischen Startnummern beinahe völlig verdeckt werden. Und da ist sie dann doch wieder. Die ganze, maximale Welt des Laufens. Ohne jedes Sub.

Obertshausen-Kuchen

 

[stextbox id=“grey“]Mehr über Lauf und Veranstalter gibt’s unter: www.tgs-hausen.de[/stextbox]

 

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