Der 1. Bad Vilbeler Quellen-Halbmarathon
Wespen mögen keine Muffins. Das muss an dieser Stelle mal gesagt werden. Das heißt, eigentlich müsste es an einer ganz anderen Stelle mal gesagt werden, nämlich in meinem Laufbericht von letzter Woche. Dieser hat jedoch aus Zeitgründen nie das Dunkel der Welt erblickt. Und deshalb gehen wichtige Erkenntnisse jetzt einfach so verloren. Fast. Denn es gibt ja den Laufbericht von dieser Woche. Da kann man das mit den Wespen einfach so reinschummeln. Letzte Woche in Mühlheim-Dietesheim versuchten ein paar tapfere Vereinsfrauen uns durch eine Wand aus Wespen hindurch Kuchen zu verkaufen. Es summte wie in den gefährlichsten Action-Szenen von Biene Maja. Unzählige Flugobjekte hatten sich auf dem Kuchenbuffet niedergelassen. Aber mein Trainingspartner wollte Backwerk und wenn mein Trainingspartner Backwerk will, dann lässt er sich nicht von Lebewesen davon abhalten, die nicht einmal so groß sind wie das 1 Euro Stück, das der Kuchen kostet. Ausgeschlossen. Wir kauften also solche Kuchensorten, die den Wespen zu popelig waren und auf denen es nicht wespte. Ein unattraktives Stück Moccakuchen (das hervorragend schmeckte), einen Zitronenkuchen und etwas Undefinierbares, Trockenes. Nur bei den schrumpeligen Muffins ging es uns wie den Wespen: sie waren uns zu blöd. Heute wollte ich also diese Erkenntnisse über die Vorlieben von Insekten bei einem neuen Volkslauf anwenden. Aber es gab keine Insekten. Es gab nicht einmal Kuchen. Aber ich greife vor.
Der 1. Bad Vilbeler Quellen-Halbmarathon ist ein Phantom. Er steht nicht im hessischen Volkslaufkalender, nicht im Online-Veranstaltungskalender der Stadt Bad Vilbel. Veranstaltet wird er nicht von einem Verein, sondern von einem Fitness-Studio, das „Netzwerk Körper“ heißt, der Deutschen Vermögensverwaltung und dem Lions Club. Das riecht nach Abenteuer und so machen wir uns auf den Weg. Der Lions Club tut viel Gutes, das ist unbestritten. So ist auch dieser Lauf ein Benefiz-Lauf für zwei soziale Organisationen. Trotzdem kann ich das Fremdeln mit dem Löwenverein nicht ablegen. Ich denke dabei immer an ein Schild, dass ich einmal auf einem Schulfest gesehen habe. Auf dem stand: „Esst Kartoffelpuffer für Ruanda.“ So ist das auch mit dem Lions Club. Ein Prosit auf das Leid der Welt. Mein Unbehagen bleibt. Aber heute tun die Lions ja auch mir etwas Gutes. Ich hoffe es zumindest.
Start des 1. Bad Vilbeler Quellen-Halbmarathons ist die historische Wasserburg im Kurpark. Unweit davon ist das Studio „Netzwerk Körper“ (ich würde gern mal die Brillenfassung desjenigen sehen, der sich diesen Namen ausgedacht hat). Hier können wir uns im Warmen umziehen. Das Warme tut Not, denn es sind heute Morgen noch 9 Grad. Das „Netzwerk Körper“ ist relativ neu und gepflegt und die Umkleiden haben wenig mit den müffeligen Kellerkatakomben gemein, die man gelegentlich bei Sportplätzen antrifft.Im Dekoübereifer hat man sogar einige getrocknete Rosen an die Decke genagelt, mit Abstand der skurillste Verschönerungsversuch einer Umkleide. Neben dem Spülkasten der Toilette hängt dagegen Lavendel – im Duftkampf gegen einen hämischen gelben Klostein allerdings hoffnungslos unterlegen.
Die Anmeldung gerät weit seltsamer als Trockenblumen. Überwältig vom Teilnehmerecho haben die Organisatoren nicht genug Startnummern auf Lager. Genau genommen haben sie für Nachmelder keine einzige Startnummer übrig. Und auch keinen Meldezettel. Oder eine Quittung. Oder irgendetwas, das entfernt an eine Anmeldung erinnert. Eine einzelne Dame schreibt die Namen des Teilnehmers auf einen Zettel, macht einen Haken dahinter und stopft sich die 20 Euro Startgebühr in ihre Jackentasche. Das haben wir so noch nicht gesehen. Hätten die Veranstalter mal einen der vielen Volksläufe in der Nähe besucht, hätten sie sich abgucken können, wie man so was macht. Es haben sich einfach zu viele angemeldet, sagt die Dame entschuldigend. Soll vorkommen. Aber wir sind nicht nachtragend. Dann laufen wir eben ohne Startnummer. Lions Club. Grummel grummel.
Wir hoppeln uns ein bisschen warm, treffen einen Bekannten und Jörg, der heute ohne seinen nicht sehenden Laufpartner unterwegs ist. Es ist kühl, ein bisschen windig, aber die Sonne scheint. Das ist wichtiger als die schönste Startnummer. Es gibt einen kleinen Countdown und dann schieben 300 Läufer los, am Flüsschen Nidda entlang. Die Strecke enthält viele Abschnitte von einer unserer Hausstrecken und da keine Startnummer vor meinem Bauch hin und herschubbert, fühle ich mich fast, wie auf einem ganz normalen Sonntagslauf. So wollen wir auch laufen. Gemächlich, stressfrei. Unter zwei Stunden, mehr braucht es nicht.
Zu Beginn ist das Feld dicht und es knödelt sich ein bisschen. Doch dann werden die Wege breiter und die Löcher werden größer. Wir laufen durch freie Felder und es pustet. Dafür ist der Blick von keinem Baum verstellt. So lassen wir uns kräftig bescheinen, bewinden und freuen uns. Die Verpflegung ist früh und reichlich. Bad Vilbel hat schließlich Mineralwasser genug. Meine Mitläufer bewegt jedoch weniger die Frage „Wasser fassen“, als „Wasser lassen“. Warum müssen Männer eigentlich vor dem Lauf mehrere Liter trinken, um sie dann unterwegs loszuwerden? In Mühlheim lief ein Mensch mit Trinkrucksack vor mir – und ging zweimal in die Büsche. Rätselhaft.
Vor mir läuft jetzt jemand, dessen T-Shirt von mir sofort in meine virtuelle Vitrine der interessantesten Laufshirts aufgenommen wird.
Mir verschafft die PP einen extra schlunzigen Kilometer (ich will ja wieder eingeholt werden) und das soll mir recht sein. Vor mir läuft jetzt jemand, dessen T-Shirt von mir sofort in meine virtuelle Vitrine der interessantesten Laufshirts aufgenommen wird. Darin liegen bereits die Aufschriften „Jesus ist Sieger“, „Koch’s Meerrettich“, das ernstgemeinte Firmenshirt eines Chemieunternehmens „Hier sehen sie, was mit Chemie alles läuft“ und einige andere. Seit heute gehört ein T-Shirt mit der schlichten Aufschrift „Käse-Uschi“ dazu. Käse Uschi ist ein kräftiger Läufer mit entschlossenem Schritt. Wer hätte das gedacht.
Meine beiden Mitläufer haben mich schnell wieder eingesammelt und so laufen wir gemeinsam der zweiten Runde entgegen. Normalerweise finde ich Runden laufen nicht so toll, aber diese Strecke ist wirklich gelungen: Feld und Fluss, viel Himmel, Asphalt und Feldwege im Wechsel. Gelegentlich geht es ein bisschen bergauf, oder es gegenwindet. Aber alles bleibt im Rahmen. Außer Mineralwasser gibt es sogar Bananen und Schokoriegelstückchen und mein Trainingspartner mümmelt fröhlich, möglicherweise schon in froher Erwartung eines wespenfreien Kuchens im Ziel. Am Ende der ersten Runde haben wir ein Froteebändchen bekommen, damit niemand schummelt und so dürfen wir uns ein wenig wie ein Ironman fühlen (beim Ironman Frankfurt gibt es beim Marathon ähnliche Rundenbändchen). Das erhabene Gefühl lässt allerdings im Kurpark nach. Hier warten weitere Bändchen, denn es müssen auf den letzten Kilometern drei Parkrunden gelaufen werden. Als ich meines entgegennehmen will, ruft eine resolute Dame wenig freundlich: „Keine Startnummer, kein Bändchen!“ So schnell wird man zum Teilnehmer zweiter Klasse. Ich brauche das Bändchen gar nicht unbedingt, aber irgendwie finde ich das blöd. Obendrein starten jetzt Jörg und mein Trainingspartner einen strammen Endspurt und den mag ich nicht mitgehen. Und … nein, das zweite Bändchen will ich jetzt auch nicht mehr. Soll sich die Dame doch eine Hochfrisur damit schrauben.
Im Ziel muss ich scharf bremsen, um meinen Namen anzugeben. Ich zweifle, dass dieses System funktioniert, aber was will man machen.
Ich stampfe trotzig in gebührendem Abstand hinter den Männern her und gönne mir zwischendurch einen köstlichen Schluck Wasser. Es schmeckt, wie direkt aus der Kurpark-Quelle. Großartig. Bei der dritten Runde verzähle ich mich fast. War’s das jetzt? Kann ich ins Ziel? Oder muss ich noch eine? Ich folge einfach stur den Männern. Dann wird’s wohl stimmen. Neben mir kontert jemand meinen Überholversuch und setzt zu einem abrupten Spurt an. Ich laufe geradeaus ins Ziel – und er biegt ab auf die nächste Runde. Versteh einer die Läufer. Im Ziel muss ich scharf bremsen, um meinen Namen anzugeben. Ich zweifle, dass dieses System funktioniert, aber was will man machen. Ob es geklappt hat, weiß ich nicht, da Ergebnisliste noch nicht da ist. Im Ziel munkelt man über Läufer, die das mit den Runden nicht so mitbekommen haben und einfach durchgelaufen sind. Verwundern würde es nicht.
Der 1. Bad Vilbeler Quellen-Halbmarathon findet m Rahmen des Weinfestes in der Wasserburg statt. Deshalb kann man jetzt in dem alten Gemäuer einen heben und etwas essen. Kuchen, so erfahren wir, gibt es aber erst ab 14:30 Uhr. Es muss alles seine Ordnung haben. An der Warm-Fettig-Und-Salzig-Theke steht eine lange Schlange. Mit Wespen kommt mein Trainingspartner klar. Aber nicht mit Schlangen. Reptilien dieser Art rauben ihm den Appetit. Und auch ich hätte lieber einen Streuselkuchen gehabt. Was ist das nur für ein Tag? Keine Startnummer, kein Bändchen, kein Kuchen.
Als ich zuhause ankomme, lege ich mich eine Runde auf die Couch. Dann pinne ich mir die Startnummer von letzter Woche auf meine Küchenschürze und backe mir selbst einen Pflaumenstreusel.
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