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Von schönen Rücken, glänzenden Augen und nackten Hintern.

So, Jun 1, 2008

G - N, Kahl, Kahl08, Laufberichte

Von schönen Rücken, glänzenden Augen und nackten Hintern.

Der Halbmarathon in Kahl (2008)

Heute habe ich einen freien Sonntag Nachmittag. Einen Laufbericht muss ich nicht schreiben. Kann ich ja auch gar nicht. Über Kahl, wo ich heute antreten will, habe ich nämlich schon alles gesagt. Ich habe in den letzten Jahren über Bodenbeschaffenheiten schwadroniert, den Kahler Sandhasen erklärt, die Strecke beschrieben, das Vereinshaus, den Kuchen – einfach alles. Über Kahl habe ich so viel und so hingebungsvoll geschrieben, dass ich lange auf ein lukratives Angebot des Kahler Fremdenverkehrsamts gewartet habe. Bis ich festgestellt habe, dass es gar keines gibt. Kurz: nach dem Lauf in Kahl gibt es voraussichtlich nichts zu schreiben und nichts zu wollen. Denke ich am Morgen und denke wie so oft völlig falsch.

Wir fahren den üblichen Weg auf der A 661 Richtung Hanau, die etwa so anmutet, als wäre heute einer der autofreien Sonntage der 70er Jahre. Andere Menschen schlafen jetzt noch und ich bin ein bisschen neidisch. Mein Trainingspartner ist auch neidisch und zwar auf mich. Ich habe nämlich weder Kopfschmerzen noch Übelkeit. Zwei Symptome, da sind wir uns einig, die man nur mit einem hübschen kleinen Halbmarathon bekämpfen kann. Rituale sind eben gesundheitsfördernd. Deshalb fällt auch bei der Anmeldung sofort der Kugelschreiber aus. Ich muss gelegentlich der Sache nachgehen, welcher Hersteller kaputte Kugelschreiber anbietet. Irgendwoher müssen die Laufvereine diese Dinger doch bekommen.

Kahl-Willkommen

Ich trotte über eine nasse Wiese zum Vereinshaus, um mich dort umzuziehen. Die Startnummer mit Chip (der aus einem dahintergepappten Draht besteht) ist so starr, dass ein beleibter Läufer fordert, es müsste sie „in gewölbt“ geben. Die Wetterlage ruft nach einem dünnen Shirt mit darüberliegendem Singlet. Es ist feucht und warm. Wir laufen uns ein wenig ein und versuchen, dabei keine nassen Füße zu bekommen. Die breite Startaufstellung erfolgt mitten auf der Wiese. Nach wenigen Metern wird man durch ein Nadelöhr in Form einer steilen Rampe geführt. Danach ist man wach. Über 200 Teilnehmer gehen heute auf die große Strecke, aber das verteilt sich rasch. Zunächst muss man kurz durch den Ort, vorbei an dem Sieger des Wettbewerbs „gruseligster Vorgarten Deutschlands“.  Vor einem Flachdachbau hat jemand Zypressen und Buchsbäume in grotesker Anordnung gepflanzt. Statt Rasen liegt Granulat dazwischen. Weiße Gartenlaternen, Gipslöwen auf Sockeln und Pinienzapfen auf dem Dach runden den Wahnsinn ab. Die Nachbarn von Familie Buchs bearbeiten ihren Rasen offensichtlich mit dem Nagelknipser. Auch das ist Kahl.

Aber dann geht es schnell in den Wald und der sieht so aus, wie ein Wald aussehen soll. Zwar vermute ich, in Kahl besitzt man schnell wachsende Zaubereicheln, wie sie in „Asterix und die Trabantenstadt“ vorkommen, denn in jedem Jahr sind hier große Mengen frisches Holz geschlagen. Aber das ist mir nur Recht, denn es duftet herrlich.

Die Strecke ist schwer zu belaufen. Nicht dass es allzu herausfordernde Steigungen gäbe. Aber der sandige Untergrund in Verbindung mit Schotter und Tannenzapfen erfordert stabile Sehnen und Bänder und kostet Kraft. Im letzten Jahr habe ich hier schwer gekämpft. Aber ich bin guten Mutes. Ich habe nichts Besonderes vor, denn mein Training ist im Augenblick sehr minimalistisch.

Bald müssen wir über eine große Straße, die von der Feuerwehr gesichert wird. Eine junge blasse Frau steht in Uniform an der Strecke und raucht uns an. Was sie wohl beim Anblick der sehnigen Läuferkörper denkt? Warum gilt Brandbekämpfung eigentlich nicht für Tabak? Nach wenigen Kilometern bin ich schweißgebadet. Die feuchtwarme Luft macht alles nass und klebrig.

[stextbox id=“info“ color=“696969″ bcolor=“ffa500″ bgcolor=“fff5ee“]Übrigens: Diesen Text gibt es auch als Podcast-Episode zum Hören![/stextbox]

Vor mir läuft jemand in einem Köstrizer-T-Shirt und es fällt mir gar nicht so leicht, mich von dem Gedanken an ein kühles Bier zu lösen. Ich mag Köstrizer und deshalb ist mir der Läufer auch sofort sympathisch. An den werde ich mich halten, beschließe ich und während ich noch innerlich zufrieden nicke, wird Köstrizer langsamer. Das ist doch nicht fair, so was. Widerwillig laufe ich an ihm vorbei. Was außerdem läuft, ist mein Schweiß und zwar in die Augen. Es brennt sehr und erinnert mich an eine Geschichte, die geschah, als ich etwa 12 Jahre alt war.

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Damals bekam ich einen Schönheitsratgeber aus den 50er Jahren in die Hände. In dem stand geschrieben, um besonders glänzende Augen zu bekommen, müsste man sich einige Spritzer Zitronensaft in die Augen träufeln. „Keine Sorge“, stand dabei „es brennt nicht mehr als Wasser“. Natürlich musste ich das gleich ausprobieren. Ich weiß nicht, ob Frauenhornhäute in den 50er Jahren robuster waren. Jedenfalls brannte es wie Hölle. Zweifelsohne konnte man anschließend allerdings meinen tränengeröteten Augen einen gewissen Glanz nicht absprechen. Trotzdem habe ich die Tipps aus den Kapiteln „Das Ei und seine Verwendungsmöglichkeiten“, „Schminktechnik der Slawin“,  „Grübchenpresser“, „Die Petersilie als Kosmetikum“ und „Quecksilberpräparate“ nicht weiter verfolgt. (Wer sich dennoch dafür interessiert –  das Buch heißt „Pfleg dich schön“ von G. v. Hilgendorff. Es steht allerdings zu befürchten, dass es, wie viele großartige Dinge, aus dem regulären Handel verschwunden ist.) Aber zurück zum Thema.

Pfleg-Dich-schön

Nachdem man sich in Kahl ca. 10 km lang durch unebene lehmig weiche und schotterige Wege gekippelt hat, immer wieder sanft bergauf, wird man belohnt. Es folgt ein Asphaltstück bergab und auch danach wird der Weg besser. Und das Beste ist: jedes Jahr vergesse ich die Belohnung und bin hocherfreut und überrascht, wenn sie erscheint. Um mein Glück vollkommen werden zu lassen, weht inzwischen ein Mini-Wind und Köstrizer ist wieder in meinem Blickfeld. Sein unaufgeregter Laufschritt und sein hübscher Rücken sind genau das, was ich vor mir haben will. Das gelingt nicht immer, aber immer wieder. Es sind nur noch vier Kilometer und ich werde immer optimistischer. Vielleicht geht da noch was. „Weine nicht, kämpfe“, steht auf einem T-Shirt vor mir. Sehr richtig. Allerdings steht es da nicht in deutsch, weshalb es sich ein Mitläufer übersetzen lässt. Der Mitläufer entpuppt sich sogleich als Hans-Uwe, der mir schon gelegentlich bei Läufen begegnet ist. Ich hätte also möglicherweise noch einen Mitstreiter für den Endspurt. Köstrizer, der Gute, fällt leider aus – er wird langsamer und ich muss auf seinen Rücken verzichten. Neben mir läuft noch jemand mit Kopfhörern, aber an verstöpselte Kandidaten halte ich mich grundsätzlich nicht. Man muss immer damit rechnen, dass sie ihre Geschwindigkeit der Musik anpassen und Wechsel sind mir ein Gräuel. Ich beschließe den Alleingang. Wenn es schief geht, geht es eben schief. Luft habe ich noch und man muss es ja versuchen. Legendär wird die Zeit nicht mehr, aber egal. Ich ziehe an. Jetzt heißt es schnaufen, stapfen und rudern. Es gelingt mir, etliche Läufer zu überholen – hach, wie fein. Das hatte ich schon länger nicht mehr.  Es geht zurück in den Ort, vorbei an dem Gruselvorgarten, um zwei Ecken und dann – schwupp – die Rampe wieder runter und über die Wiese ins Ziel. „Biep“ – meine Startnummer wird entwertet und die Mischung aus Kabeln, Plastikfolie und Papier gehört nun mir. Im Sinne der Müllvermeidung ist mir eine einfache Papierstartnummer oder ein wieder verwendbarer Chip deutlich lieber. Sei’s drum.

Kahl-Wiese

Kahl-Bonkasse Kahl-Bonkasse2

Mit schlaffen 1:52:07 werde ich noch Vierte (von 14) meiner heute augenscheinlich verweichlichten Altersklasse. Auch Mr. Migräne hat nur noch drei Läufer vor und die Kopfschmerzen hinter sich. Damit kommen wir zwar in den Genuss von hausgemachtem Kahler Kuchen, aber leider nicht in den des Pokals.

Kahl-Kuchen

Man kann Pokale als Augenschmeichler gar nicht genug rühmen – in diesem speziellen Fall gilt das noch mehr.  Denn in Kahl kam jemand auf die Idee, aus einem Pokal einen Po-Kahl zu machen. Was zu dem unglaublichen Entwurf einer Figur führte, die dem siegreichen Trophäenempfänger den blanken Hintern zeigt. Weit über die Region hinaus sei dieser „Po-Kahl“ bekannt, berichtet der Moderator bei der Siegerehrung stolz und macht uns in jeder Hinsicht staunen.

Kahl-Pokahl

Nicht zuletzt dieses Kunstwerk ist es, das mir den freien Nachmittag raubt. Ich muss einfach zugeben: über Volksläufe in Kahl war eben doch noch nicht alles gesagt.

[stextbox id=“grey“]Mehr zu Lauf und Veranstalter gibt’s unter: www.djk-kahl.de[/stextbox]

 

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