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Agenda 2033.

Fr, Mrz 14, 2014

Schnipsel

Agenda 2033.

Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Da kann auch für Läufer eine Menge passieren. Vielleicht wird ja in Zukunft alles viel einfacher. Oder etwa nicht? Eine Zeitreise.

Es war spät gestern. Wir haben ja auch Geburtstag gefeiert. Ich bin jetzt „W 65“! Verrückt. Das heißt, früher wäre ich das gewesen. Als es noch die Altersklassen im Breitensport gab. Die haben sie ja abgeschafft. Es gibt einfach zu viele Läufer über 50 und zu wenige darunter. Wir haben jetzt nur noch drei Leistungsklassen: Bronze, Silber, Gold. Die Alten sind gold. In der Begründung zur Änderung hieß es, die neue Einteilung „wertet das Alter sichtbar auf und motiviert junge Menschen, mit dem Laufen zu starten und auch einmal den Gold-Status zu erreichen.“ Ein ganz schöner Quatsch, eigentlich.

Wer weiß, ob das so bleibt. Wir Läufer haben ja schon viele Neuerungen kommen und gehen sehen. Ich kann mich noch gut an die Kompressionsstrümpfe erinnern. Die mochte ich ganz gern. Dann kamen aber die Kompressionshosen, dann die Kompressionsanzüge und als sie dann Kompressionsgesichtsmasken entwickelt haben, bin ich ausgestiegen. Die Masken haben die Gesichtszüge in ein Dauerlächeln gedrückt. Laut Studien wurde dem Gehirn so die Rückmeldung gegeben, dass es dem Läufer gut geht, was sich positiv auf die Leistungsfähigkeit auswirken sollte. Das war mir aber egal. Es sah einfach zu bescheuert aus. Was ich dagegen ganz interessant fand, war der „Natural breathing“-Trend. Die Menschen der Urzeit, so hat man herausgefunden, haben viel tiefer geatmet, deshalb konnten sie auch den ganzen Tag laufend Säbelzahntiger und so anderes Zeug jagen. In „Natural Breathing“ Seminaren konnte man darum lernen, wie man wieder tiefer atmet. Ich hab mir dann auch gleich einen „Breath Coach“ gekauft, so ein Ding, was man sich umschnallt und das den Brustkorb automatisch in der richtigen Frequenz hebt und senkt. Die Geräte haben sie aber verboten, weil man davon abhängig wurde und ohne den „Breath Coach“ plötzlich vergessen hat zu atmen. Ich hab’s dann sofort in den Elektroschrott-Shredder an unserem Haus gesteckt.

Natural Breathing Seminar beim 7. Grasnaben-Marathon Bad Schrunden/Harz. © Rain Roogla - Fotolia.com

Natural Breathing Seminar beim 7. Grasnaben-Marathon Bad Schrunden/Harz.
© Rain Roogla – Fotolia.com

Leistungsfähigkeit ist eigentlich sowieso nicht mehr so wichtig, seit es E-Shoes gibt. Man kommt einfach viel schneller voran damit. Es ist zwar nur ein kleiner Akku drin, aber der Motor potenziert die Abdruckkräfte des Fußes einfach enorm. Früher bin ich oft im 6er Schnitt gelaufen, heute ist ein 4er ganz normal. Seit es E-Shoes gibt, ist das Australian-Jumping auch total off. Eine Zeitlang sind ja alle mit diesen Sprungfedern unter den Schuhen durch die Gegend gehüpft, so Känguruh-mäßig. Es hieß, man verbraucht viel mehr Kalorien, weil man sich ja gleichzeitig vorwärts und nach oben bewegt. Dann gab es aber all diese Verletzungen durch Äste und die E-Shoes sind eben einfach crosser, die flanschen die Leute viel mehr an. Man ist halt nicht mehr ganz so fit wie früher, weil die Schuhe einem doch viel Kraftaufwand abnehmen. Wem das Training nicht genügt, der kann ja aber immer noch den Dream-Runner nutzen. Also so einen Schlafhelm, der nachts genau die Gehirnareale aktiviert, die beim Laufen in Aktion sind. Angeblich bringt das richtig viel. Beim Laufen im Schlaf wird ja auch der Bewegungsapparat geschont.

Ich hab mir letztes Jahr eine neue Kniescheibe gegönnt, es gab von Nike da ein paar ganz schöne. Die machen ja unheimlich viele crosse Sparies, also Ersatzteile für Sportler. Nachts leuchtet jetzt immer das Nike-Logo im Knie, das sieht richtig wonkel aus. Das Leuchten korrespondiert auch gut mit dem Blinken von meinem Nutri-Chip und meinem GPS-Sender. Die hab ich mir beide vor ein paar Jahren unter die Haut schießen lassen. Der Nutri-Chip misst die Nährstoffkonzentration und die Fließgeschwindigkeit des Blutes und sagt mir immer genau, wann ich unterwegs essen und trinken muss. Und der GPS-Sender ist sowieso voll die Säge – nie wieder verlaufen und immer wissen, wo man war! Die Chips unter der Haut arbeiten auch im Thermo-Cover wirklich sehr zuverlässig. Das ist diese Ganzkörper-Hülle, die die Wettereinflüsse nivelliert. Durch den Klimawandel haben wir ja dauernd mit extremer Hitze oder Kälte zu tun, das Thermo-Cover lässt einen immer im optimalen Klima laufen. Einfach capital, das Ding.

Volksläufe mache ich irgendwie nicht mehr so viel. Das ist mir zuviel Duftverschmutzung. Man wählt ja die Laufklamotten heute nicht mehr nach Farbe und Schnitt aus, sondern nach dem Geruch. Ich selber hab ja nur Maiglöcklichen und hab alles darauf abgestimmt. Aber wenn dann Amber, Patchouli, Lilie oder die neuen Sorten Sojawurst, Kefirpilz und Reisbier dazukommen, dann ist mir das alles zu viel. Wenn ich jungen Leuten erzähle, dass man früher beim Laufen den Schweiß riechen konnte – die können das gar nicht glauben. Obwohl Schweiß ja längst nicht mehr so negativ besetzt ist wie früher, seit man die Salze darin als thermochemischen Wärmespeicher nutzen kann. Ich trage zum Laufen heute ein Flies, das danach direkt in den Heizungskeller wandert, unser Hauskraftwerk arbeitet capital damit.

Vor fünf Jahren habe ich noch etliche Volksläufe gemacht, die ja jetzt „Move-arounds“ heißen (um junge Leute mehr anzusprechen). Die Bahn hat stillgelegte Streckenabschnitte als „Rail-Marathons“ angeboten und sich auch als Veranstalter versucht. Das war eigentlich ganz droll. Aber dann kam es immer wieder zu Verspätungen bei den Startschüssen, Staffelläufer hatten nie pünktliche Anschlüsse. Da haben sie das Projekt wieder aufgegeben.

Ehemalige Rail-Marathon-Strecke zwischen Umstand und Haarzopf. © Giuseppe Porzani - Fotolia.com

Ehemalige Rail-Marathon-Strecke zwischen Umstand und Haarzopf.
© Giuseppe Porzani – Fotolia.com

Ich würde ja gern mal wieder einen Marathon laufen, aber mir gehen die Reispartys immer so auf die Nerven. Seit es fast nur noch chinesische Sponsoren gibt, kriegt man nirgendwo noch Nudeln vor dem Rennen. Und die Algen an den Versorgungstischen krieg ich auch nicht runter. Dabei ist angeblich die Kartoffel eh das beste zum Laufen, wie Studien jetzt herausgefunden haben. „Mehr Stärke durch Stärke“! Ach, wer weiß, ob das so stimmt.

Typische Reispartystimmung. Soße ist meistens aus. © Jultud - Fotolia.com

Typische Reispartystimmung. Soße ist meistens aus.
© Jultud – Fotolia.com

Am Ende gewinnen doch nur wieder die Läufer aus Island. Ich finde, das war auch einfach keine gute Idee, das Doping frei zu geben. Den Afrikanischen Läufern hat das überhaupt nicht gut getan, die sind einfach auf Dauer nicht robust genug für diesen ganzen Hormonquatsch. Der Konkurrenzkampf wurde immer giftiger und was haben wir jetzt davon? Die Isländer haben das Schwefeldoping und keiner kommt ihnen bei. Niemand weiß, was sie da eigentlich zu sich nehmen, es muss irgendetwas mit ihren heißen Quellen und Geysiren zu tun haben. Und jetzt rennen sie seit Jahren alles in Grund und Boden. In Berlin haben schon wieder Guðmundur Fjalar Kristjánsson Hallssonar und Hrafnhildur Ingibjörg Bryndísardóttir gewonnen.

Trainingslagerunterkünfte im isländischen SkáfjömosvÍkbaer.  © Michal Lazor - Shutterstock.com

Trainingslagerunterkünfte im isländischen SkáfjömosvÍkbaer.
© Michal Lazor – Shutterstock.com

Die Isländer haben auch die crossesten Uri-Tights. Eigentlich brauchen Elite-Läufer ja keine Windeln, weil sie gar nicht so lange unterwegs sind, vor allem die Isländer nicht, die sind ja beim Marathon nach spätestens 1:48 wieder im Ziel. Aber die chinesischen Sponsoren sind einfach gnadenlos, da müssen die Uri-Tights in die Kamera gehalten werden. Am Anfang ist es ja gewöhnungsbedürftig. Dass man es unterwegs einfach so … in die Windel … Aber was will man machen? Es gibt ja keine Dixie-Häuschen mehr und die Uri-Tights sieht man ja auch kaum noch, so dünn sind die. Inzwischen find’ ich’s in Ordnung.

Ich glaube, ich muss jetzt langsam mal anfangen zu arbeiten. Offiziell muss man ja ab 65 Jahren bis zum 75. Geburtstag nur noch 5 Stunden am Tag an den Schreibtisch, aber wenn ich nur so wenig arbeiten würde, könnte ich mir die Miete nicht leisten. Ich erzähle euch dann bald mal wieder, was es Neues gibt. Wenn ich in der W 85 bin. Oder wie immer sie diese Altersklasse dann nennen.

 

Erschienen in der Runner’s World September 2013.

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9Antworten um “Agenda 2033.”

  1. Brennr.de Says:

    Göttlich! 😀

  2. MagicMike2311 Says:

    Großartig.Wie immer.Danke.

    M70 oder Gold? Dann lieber Gold 🙂

    Uritight bräuchte ich manchmal beim Training 😉

  3. Ariana Says:

    Einfach nur genial 🙂 Die Nike Kniescheiben sind sicherlich super – auch wenn ich ein leuchtendes Pumalogo optisch schicker fände 🙂
    Liebe Grüsse
    Ariana

  4. Markus Says:

    Wenn nur die Hälfte davon eintrifft wäre das schon fantastisch!

  5. Janina Says:

    ziemlich wonkel und voll die säge, der artikel 😉

  6. Wiesel Says:

    Danke für den erheiternden Tagesabschluss 🙂 In der Runners World hatte ich den genialen Artikel wohl verpasst.


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  1. […] Nach dem Lesen dieses Beitrags möchte ich mir unbedingt Puma-Kniescheiben implantieren – ein nicht ganz ernst gemeinter Artikel von Laufen mit Frau Schmitt.  […]

  2. […] Leser von Laufen mit Frauschmitt wissen, dass ich mich immer wieder gern mit dem Laufen der Zukunft beschäftige und mich Innovationen mit Neugier nähere. Mir sind dabei ein paar Trends aufgefallen, […]

  3. […] einiger Zeit habe ich mal einen Beitrag über die Zukunft des Laufens geschrieben, ein Thema, dass mich sehr interessiert. Ich habe dabei meiner Fantasie freien Lauf […]

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