Ich kann nicht laufen. Ich bin krank. Das eine ist beinahe so schlimm wie das andere. Nicht, dass ich eine schlimme Krankheit hätte. Eine chronische oder unheilbare. Es ist nur ein hartnäckiger Infekt. Aber trotzdem ist mein Lebensgefühl verrutscht.

Läufer sehen die Welt durch eine Läuferbrille. Wenn es regnet, denken sie: „Zum Glück hab ich meinen Lauf heute morgen schon gemacht, als es noch schön war.“ Wenn die Sonne scheint, hoffen sie, dass das Wetter am nächsten Tag, zum Lauf, noch genauso schön sein möge. Wo andere einen Weg sehen, sehen Läufer eine Strecke. Wo andere einen Mann laufen sehen, sehen Läufer den Nike Lunar Glide, einen Garmin Forerunner, zu warme Kleidung und einen 6er Schnitt. All das zu bemerken und selbst nicht laufen zu können, erscheint idiotisch. Wenn wir krank oder verletzt sind, spielt uns unsere selektive Wahrnehmung einen Streich. Läufer sind plötzlich überall. Sie schießen aus Seitenstraßen, werden in Talkshows interviewt und springen über Doppelseiten der Frauenzeitschriften. Und die Runner’s World legen wir lieber mit dem Cover nach unten auf den Tisch.

Sonst in Ausdauer und Gleichmut geübt, verlieren wir leicht die Geduld, wenn wir krank sind. Die erste Phase der Krankheit ist die Hoffnung. Vielleicht werden wir ja doch wieder fit. Bis zum Wochenende. Bis zu dem wichtigen Lauf in zwei Wochen. Bis zum Marathon in sechs Wochen. Wir werfen Pillen, inhalieren und ruhen wie die Weltmeister. Wir werden Altersklassensieger in Schonung. Doch oft hilft alles nichts. Nach der Phase der Hoffnung kommt die Phase der Resignation. Wir haben Fieber und Gliederschmerzen. Der Start beim Lauf ist weiter entfernt als jedes Ziel. Wir sind keine Läufer mehr. Wir sind nur noch krank.

Kaum geht es uns wieder besser, folgt die dritte Phase. Hier sieht man, wie gut sich Läufer mental motivieren können. Es ist schon wieder eine Phase der Hoffnung. Wenn wir jetzt bald langsam das Training wieder aufnehmen, können wir wieder fit werden. Nicht zum nächsten Lauf. Aber zum übernächsten. Wieder auf die Beine kommen, das ist, was zählt. So lange müssen wir akzeptieren, dass wir uns schon nach zwei Wochen fühlen wie ein umgestürzter Pudding. Unsere Muskeln werden weich und verlieren an Spannkraft. Die Chips und Schokokekse, die wir sonst locker weglaufen, versagen wir uns jetzt besser.

Ich laufe nicht jeden Tag. Laufen nimmt nur wenige Stunden in der Woche in Anspruch. Ich bin in keinem Verein. Und doch ist mein Leben davon bestimmt, eine Läuferin zu sein. Was ich esse, was ich denke, wie ich die Welt sehe. Die Erklärung dafür ist eigentlich ganz einfach: Das Glück eines Läufers resultiert nicht aus dem Laufen. Sondern aus dem Laufen können.


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9 Kommentare

  1. Liebe Frau Schmitt, dass ist eine sehr treffende Beschreibung. Ich komme gerade von meinem ersten Lauf in der Phase 3 zurück: Zwei Wochen keinen Lauf wegen eines Infekts, zum Halbmarathon in Heidelberg nicht angetreten. Jetzt, nach dem ersten Lauf stecke ich voller Glücksgefühle und plane die Vorbereitung für den nächsten HM.Ich wünsche eine schöne Laufwoche,Klaus

  2. Tja, gute Besserung so von Couch zu Couch! Immerhin nimmt man beim Kranksein am Lauf der verpassten Möglichkeiten teil.

  3. Gute Besserung. Auch über das Nichtlaufen schreiben Sie wieder sehr ergreifend, FrauSchmitt.

  4. Jaaa liebe FS, gute Rest-Besserung auch von mir! Wegen einer halben Grippe kurz vorm Darssmarathon dieses Jahr hab ich abbrechen müssen, es ist einfach nur bitter. Alle anderen rennen was das Zeug hält, nur du kannst es grad nicht, und warst eigentlich gut in Form bis ….. Eigentlich müssten alle Läufer 3 Wochen vorm Wettkampf in Quarantäne, damit nichts mehr passiert!!!

  5. Gute Besserung! inzwischen müßten die Symptome doch abgeklungen sein. Es stimmt mal wieder alles 100% – ergänzend kann ich noch anfügen, daß sich mein Medikamentenschrank mit allem angefüllt hat, mit dem man eine Erkältung verhindern kann oder besser gesagt, von dem die Pharmaindustrie, Heilpraktiker und sonstige Auguren jemals behauptet haben, daß es eine Erkältung verhindert. Wie oft nehme ich 1 Aspirin ohne Kopfschmerzen zu haben, weil die Nase juckt. Und das alles nur, damit ich weiterlaufen kann…Allzeit guten Lauf!Röben

  6. Ach, wie gut ich all diese Phasen kenne. Besonders die mittlere;-) Und wie schön anschaulich beschrieben. BAus Phase 3,5 (rote juckende Quaddeln nach Antibiotikaunverträglichkeit, aber Laufen geht schon wieder) grüßt herzlichManu

  7. Pingback: Das Magazin für nichtlaufende Läufer » Laufen-mit-frauschmitt

  8. Hallo,viel Grüße aus Phase zwei. Habe gerade gestern eine Diagnose, ein absolutes Sportverbot und die Aussicht auf Medikamente für die nächsten 1,5 Jahre. Mal gucken, wie es so weitergeht.Viele Grüße,Sandy

  9. Oh! Das klingt ja wirklich nicht schön. Durchhalten, die besseren Zeiten sind schon im Anmarsch! 😉

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