Der 10 km-Lauf in Kahl (2010).
Das ist doch mal wieder typisch. Da hab ich mir fest vorgenommen, keinen Laufbericht aus Kahl zu schreiben und dann passieren ausgerechnet wichtige Ereignisse, die ich als Chronistin des hiesigen Volkslaufgeschehens unmöglich undokumentiert lassen kann. Dabei habe ich über Kahl schon so viel geschrieben, dass man sich selbst in Kahl schon darüber wundert. Ich mach es also kurz: Kahl liegt in Bayern, bietet einen Halbmarathon, einen 10er und zwei Schülerläufe, der Verein hat seinen legendären Country-Frühschoppen vor Jahren bereits abgeschafft, wenn man erster wird, bekommt man einen Pokal in Form einer Figur mit einer heruntergelassenen Hose („Po-kahl“) und an der Kuchentheke bedient eine Dame, die einst bei der RTL2 Sendung „Frauentausch“ einen denkwürdigen Auftritt hatte. Damit sind eigentlich die wichtigsten Fakten genannt.
Ich laufe heute mal wieder nur die 10 km. Das bekommt mir gerade ganz gut. Am frühen Morgen sind es noch 17 Grad, aber es wird minütlich wärmer. Wir laufen uns auf der Kinderstrecke rund um einen kleinen verwunschenen See ein bisschen ein. Nichtsahnend geraten wir damit in einen Stechmückenballungsraum. Unzählige Stechmücken – vermutlich auf dem Weg zur Arbeit – nehmen unterwegs noch rasch einen kleinen Imbiss: uns. Wir suchen das Weite. Die Startlinie ist traditionell auf einem kleinen, abgegrasten Bolzplatz neben dem eigentlichen Sportplatz.
Die Halbmarathonis starten zuerst, damit sie für die 10km-Läufer die Getränke an den Verpflegungsstellen vorkosten können. Macht ja auch Sinn. Derweil steigt die Temperatur.
Dann sind die 10er dran. 10 km-Läufer bilden ein heterogenes Feld, viel deutlicher als Halbmarathonis. Hier mischen sich die rasend Schnellen mit den heftig Langsamen. Wer einen 10er läuft, hat entweder besonders viel Pfeffer im Hintern, oder er bevorzugt die ruhige Kugel – oder ist selbst eine. Veteranen, Ersttäter und Schnellschlappen stehen an der gleichen Linie. So gesehen ist ein 10er eine schöne Sache, obwohl ich sonst der längeren Distanz deutlich den Vorzug gebe. Es passiert unterwegs einfach mehr – mit einem selbst und um einen herum.
Gleich nach dem Start geht es eine kleine Rampe hoch und es empfiehlt sich, die Neigung zur Rampensau zu unterdrücken. Man muss ja nicht unbedingt schon nach 200 Metern außer Atem sein.
Schnell geht es Richtung Wald, was bei diesen Temperaturen angenehm ist. (Sonst eigentlich auch). Ich pendle mich bei einem Tempo von 5:30/km ein und versuche trotzdem stressfrei von der Rhythmus-Combo um mich herum wegzukommen – einem Münzklimperer und einem piependen Schrittzähler. Die laufende Wechselstube werde ich los, der Schrittpiepser bleibt. Wenn er hinter mir läuft, ist es nicht so schlimm. Vielleicht ist es ja auch der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Man soll Menschen nicht nach den Geräuschen beurteilen, die sie beim Laufen machen. Ich selbst zum Beispiel schnaufe. Die Strecke ist auf der ersten Hälfte unkompliziert und zum Teil sogar asphaltiert. Es läuft prima. Ich achte mal wieder auf mein Chi und diese Dinge und es scheint sogar besser zu gelingen als noch vor drei Tagen in Bonames.
Bei km 5 reicht man mir eine Stechmücke. Sie sitzt an dem Tee-Becher, den es am Getränkestand gibt und ich greife lieber nach dem mückenlosen Wasser. Prompt komme ich mit dem Schrittzähler in ein Nano-Gespräch, in dem er meine Qualitäten als Pacemaker lobt. Reizender Mensch. Hab ich ja gleich gesagt. Zwischen km 6 und 7 muss eine Straße überquert werden. Im Wald davor stehen Streckenposten. Davor, aber nicht auf der Straße. Es herrscht fließender Verkehr und die Straße ist vollkommen ungesichert. Volksläufer sind keine Spaziergänger. Sie bleiben nicht stehen und schauen sorgsam rechts und links – sie laufen auf die Straße, gewohnt, dass sie durch Streckenposten gesichert ist. So auch die beiden Herren vor mir. Ein Wagen, der glücklicherweise durch die Lübecker Hütchen auf der Straße vorgewarnt war und deshalb nicht schnell fuhr, kommt gerade noch rechtzeitig vor den Läufern zum Stehen, mitten auf der Läufereinflugschneise. Nicht nur bei den 10ern, auch bei den Halbmarathonläufern ist die Strecke zumindest vorübergehend ungesichert gewesen. Ich schätze den Kahler Volkslauf und seine Organisation sehr, aber das ist nicht eben lustig. Oder, um es direkt an die Adresse der verantwortlichen Streckenposten zu sagen: Habt ihr noch alle am Sträußchen? Dabei hätte leicht jemand umgenietet werden können! Ein Skandal. Der erste von zweien.
Grimmig laufe ich weiter. Die Strecke ist jetzt stellenweise etwas wackelig, überall sind dicke Reifenspuren von Waldfahrzeugen. Hier wurde Holz geschnitten und gehäckselt und es riecht wunderbar, als wäre man in einem Sägewerk. Der Wald von Kahl hält doch immer wieder eigene Duftnoten parat. Schon bald wird es Zeit, sich auf die kleine Rampe zu freuen, die man jetzt ins Ziel hinunter laufen darf. Sie ist zwar nutzlos steil, aber das gibt dem Zieleinlauf doch gleich so eine ganz eigene Dynamik. Ins Ziel laufen, Tee trinken (ohne Mücke), schwitzen, schwitzen, schwitzen (27 Grad), duschen, ans Ziel zurückkehren. (Ich kürze die wichtigsten Vorkommnisse hier mal ab).
Nachdem auch mein Trainingspartner im Ziel ist, der den 21er gelaufen ist, freuen wir uns auf die Kinderläufe. Erst laufen die Großen 1500 Meter, dann die Kleinen 700 Meter (irgendwann gab es auch noch 4.000 Meter, aber die haben wir verpasst).
Nie hätte ich als Dreikäsehoch so was gekonnt. Meine Bewunderung ist also ganz auf den Seiten der Kinder. Außerdem ist diese Art von Laufstilanalyse die Schönste: von perfektem Chirunning bis zum Stil „volltrunkener Seemann mit Orientierungsstörungen und Lähmungserscheinungen“ ist alles dabei.
Besondere Aufmerksamkeit richten wir auf die ersten und letzten. Bei den Großen, die etwa zwischen 8 und 11 Jahren alt sind, ist ein Junge mit einer schwarzen coolen Sonnenbrille eines der Schlusslichter. Schwerfällig kämpft er sich über den Parcours. Noch bevor er durchs Zieltor kommt, schleudert ihm eine Frau „Was bist denn Du für einer!“ entgegen. Seltsame Pädagogik, denken wir noch, aber dann sehen wir, wie sich mehrere Mütter hinter dem Ziel auf den Jungen stürzen. Ein kleiner Tumult entsteht. Die Erklärung ist kurios. Offensichtlich hat der Junge eine ganz eigene Taktik entwickelt, um Gegner zu demoralisieren: er hat bei deren Überholmanöver seinen rechten Schwinger ausgefahren und mehrere Kinder haben davon etwas abbekommen. Ich überlege kurz, ob das nicht künftig eine gute Lösung für mich sein könnte, doch dann stelle ich fest, dass der Junge ja Letzter wurde. Keine Sieger-Taktik also. Der ganze Zorn der Eltern und Umstehenden entlädt sich auf das Kind. „Was bist denn Du für einer!“. Ein Skandal beim Bambinilauf, wo gibt’s denn so was! Der Junge tut mir leid. Wie hart muss es sein, Letzter zu werden, damit nicht umgehen zu können und dann von allen geächtet zu werden. Man wünscht ihm einen Trainer, der ihm zeigt, wie er beim Sport ein Sieger sein kann, ohne zu gewinnen. Ob das Kind jemals wieder läuft?
Wir jedenfalls laufen jetzt schon wieder und zwar eine Barfußrunde auf dem Sportplatz. Danach könnte ich zwar zum wiederholten Mal duschen, aber egal. Der Kuchen ist in Kahl sehr ordentlich und man kann beim Kauen ausdruckslos auf einen knallgrünen Rasen schauen. Das entspannt ungemein.
Als die Ergebnislisten aushängen, finde ich auch meinen Namen: mit 55:20 belege ich Platz 11 von 25 der Altersklasse M40. Einen Geschlechtstest lehne ich rigoros ab.
Entdecke mehr von Laufen mit Frauschmitt
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
5 Kommentare
Da kann man dem Lütten nur die Daumen drücken, dass er jemanden in seiner Nähe hat, der im auf eine faire Art den Umgang auch mit „Niederlagen“ erklärt, aber was sind Niederlagen, wenn man das Ziel erreicht, auch wenn man nicht der erste ist… so jedenfalls erreicht man nur Sturheit. Mit der Straßenüberquerung ist ja auch echt ein Ding!! Wenn man im vollen Laufrausch ist und rübertrabt ohne zu gucken… Die Kahler werden sicher den Kritikpunkt 2011 korrigieren. Na denn, und natürlich weiter angenehmes Kühlen der vielen Mückenstiche wünscht dir Claudia ;-))PS trotz des langen harten Winters gibts leider Milliarden Mücken derzeit in Wald und Flur, ufff….
Die Minizwergin auf dem Foto ist ja süß. *kicher* Ich hätte sowas als Kind auch nicht gekonnt.
Was für ein netter Bericht (und hübsche Fotos), den ich da erst heute gefunden habe. Damit mir aber von nun nan nichts mehr zeitnah entgeht, hab ich Dich „unter Beobachtung genommen“ 🙂
Entscheidend ist doch: was ist denn aus dem Klingelbeutel geworden? Vielleicht exkommuniziert, weil mit den Schrittepiepser die Wege gekreuzt? Schmittie, Deine Berichte sind mir die Salbe auf die Blasen, das Adrenalin im Spurt. Leider vermisse ich die Schmittcasts für meine langen Läufe am Sonntag. Lass es mich so sagen: BITTE!!!!!!!!! Da capo, al forno.
Liebe Frau Schmitt, ein schöner Bericht und ich mag spontan Ihren Schreibstil.Bin nur durch Zufall hier gelandet, auf der google-Suche nach dem „Münzklimperer“,(ich benutze exakt dasselbe Wort), denn mich hat gestern erst einer genervt. Der Münzklimperer ist die Steigerung des Münzkrämers – so nenne ich Leute, die an der Kasse nach Münzen kramen und alles aufhalten, unsäglich – entweder habe ich die Münzen parat, oder lasse rausgeben.Zudem kenne ich mit dem Vornamen Renée (weiblich, darum 2 „e“ hinten! aber das wissen leider nicht alle..)das Problem, schnell mal als Mann eingeordnet zu werden.Viel Erfolg für Ihre Läufe,Renée