Über eiserne Herstellergrundsätze und Frauenleiden.
Beim Einkauf von Laufausrüstung gibt es eine goldene Regel: wenn man nach langer Suche ein Produkt gefunden hat, das man wirklich liebt und das endlich perfekt zu einem passt, dann wird es sofort aus dem Programm genommen. Die Hersteller spüren sowas. Und dann denken sie: aha! Der liebt das Produkt! Das bedeutet, er wird es sehr lange benutzen. Und wenn er sich ein Neues kauft, wird er es auch wieder sehr lange benutzen. Besser, wir stellen dieses Produkt nicht mehr her. Dann wird er auf der Suche nach einem Nachfolger ganz viele Fehlkäufe in kurzer Zeit haben! Und alle bei uns. Hohoho.
Besonders dramatisch wirkt sich diese alte Hersteller-Regel bei Sport-BHs aus. Bis man hier den richtigen gefunden hat, verbringt man Jahre mit Obenrum-Textilien die wahlweise kratzen, wobbeln, schlabbern, beulen, oder versuchen, die Brust zwischen die Rippen nach innen zu drücken. Es gibt die mit den verstellbaren Verschlüssen, bei denen die Verschlüsse bei langen Läufen blutige Spuren hinterlassen. Und es gibt die aus einem Stück, bei denen man nichts zu- aber auch nichts aufmachen kann. Das führt dann leider dazu, dass man sie im nassen Zustand praktisch nur mit der Schere ausziehen kann. Es gibt vermutlich eine hohe Dunkelziffer an Läuferinnen, die sich mit einem zusammengedrillten Sport-BH versehentlich stranguliert haben. Da spricht man ja nicht gern drüber – zumal wenn man es nicht mehr kann.
Da meine Lieblingsfirma Rono leider keine passenden Sport-Oberteile herstellt, bin ich vor ein paar Jahren auf die Unterwäschenmarke Unno ausgewichen. Endlich hatte ich die perfekten BHs gefunden. Weil ich die Hersteller-Regel der verschwindenen guten Produkte kenne, habe ich mir gleich drei Stück gekauft. Es gelang gerade noch, bevor die Form aus dem Sortiment verschwand und durch allerlei Unförmiges ersetzt wurde. Doch leider sind auch die besten Funktionsfaserteile mit den Jahren zerschlissen. Es muss also langsam Ersatz her. Schließlich kann so eine Ersatz-Suche Monate dauern.
Der beste Laufladen in Frankfurt und Umgebung ist der Frankfurter Laufshop in der Innenstadt. Seit Neuestem ist er mit einem Partnershop verbandelt. Der ist gleich nebenan und verkauft ausschließlich Falke. Dort will ich heute vorbeschauen.
Wie konnten die Menschen früher leben und laufen, als es noch keine Rechts-Links Socken gab?
Eigentlich ist mir die Marke nicht ganz geheuer. Man kann bei Falke Socken abonnieren. Wenn man will, steckt eine bestimmte Sorte Socken alle zwei Monate im Briefkasten. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich das großartig oder total behämmert finden soll. Außerdem ist Falke schuld, dass ich meine Laufsocken morgens immer zwei mal anziehen muss. Beim ersten Mal sitzt das rote „L“ totsicher rechts. Jedes Mal frage ich mich, was eigentlich passiert, wenn man die Socke für links auf den rechten Fuß anzieht. Macht das schlechtes Karma? Verformt sich der Fuß? Wie konnten die Menschen früher leben und laufen, als es noch keine Rechts-Links Socken gab? Aber ich weiß, irgendwann wird er kommen, der Tag. An dem ich Morgens Elmex benutze statt Aronal, meinen Job kündige, keine Kommas mehr setze und das rote „R“ über den linken Fuß ziehe. Das ist Freiheit. Aber zurück zu Obenrum.
Der Falke-Shop wird heute eröffnet und deshalb ist das Verkaufs-Personal reichlich und eifrig. Während ich in den BHs blättere, die allesamt etwa soviel kosten wie zwei Kaffeemaschinen, bestürmt mich ein Verkäufer. „Das ist die neue Kollektion!“ sagt er. Na, das ist doch schon einmal eine wichtige Information. Wird mir so ein Teil gefallen, habe ich also gefühlte drei Wochen Zeit, mir ein zweites zu kaufen, bevor es aus dem Programm genommen wird. „Sie können hier wählen zwischen dem Part-Support und dem Full-Support. Beide haben die perfekte Climate Control durch die unterschiedliche Webstruktur. Schauen Sie mal!“ Er reißt mir einen Bügel aus der Hand, auf dem ein BH aufgespannt ist wie die Saiten eines Tennis-Schlägers und hält ihn gegen das Licht. „Sehen Sie? So funktioniert der Moisture-Transport optimal. Hier sind die unterschiedlichen Klimazonen für schnelle Rücktrocknung.“
Das letzte Mal, dass ich etwas über Klimazonen gehört habe, saß ich in einer Erdkundestunde und das ist schon ein paar Jährchen her. Ich glaube aber, von „Rücktrocknung“ war damals noch nicht die Rede. Etwas überfordert schiebe ich gedankenverloren ein paar weitere BHs hin und her. „Das hier ist das Full-Support- Modell“ sagt die sprechende Packungsrückseite. „Wo ist denn der Unterschied?“ frage ich. „Die sind mit Bügeln verstärkt. Aber ich persönlich bevorzuge die anderen“. Jetzt bin ich interessiert. Ich mustere den Verkäufer von der Seite. Er sieht gar nicht aus wie jemand, der am Wochenende in fremde Städte fährt, um dort unerkannt in Frauenkleidung herumzulaufen. Oder ist es nur die Wäsche? Der Verkäufer interpretiert mein erwachendes Interesse als Begeisterung für die Produkteigenschaften und legt noch einen drauf. „Die Ergonomic Serie ist das Beste, was es an Sportwäsche gibt. Ziehen sie doch mal einen an, dann werden sie das merken. Und nehmen sie noch ein Panty mit, zusammen sieht das immer viel besser aus.“ Willenlos trage ich „Part-Support“ und ein „Panty“ zur Kabine.
„Das kneift aber“ ruft er wenig verkaufsfördernd in die Kundenschar jenseits des Vorhangs
Während ich noch mit meinem Schal und der Jacke kämpfe, ist der Kunde in der Nebenkabine schon weiter. „Das kneift aber“ ruft er wenig verkaufsfördernd in die Kundenschar jenseits des Vorhangs. „Dann nehmen sie doch einfach den klassischen Brief!“ schallt eine Verkäuferin zurück. „Was soll ich nehmen?“ antwortet es und der gepressten Stimme nach bindet sich der Kunde vermutlich bereits wieder die Schuhe zu. “Na, eine normale Unterhose halt“ übersetzt die Verkäuferin. „Das ist wohl besser.“ sagt der Kunde und schließt den Reißverschluss seiner Jacke. Das kleine Hörspiel hat mich völlig abgelenkt und ich wende mich jetzt wieder Part-Support zu.
Erschöpfung und Kaufunwilligkeit setzt ein, wie immer, wenn ich mich bei Neonlicht beinahe komplett entkleiden soll, während plaudernde Menschen etwa 30 cm entfernt an der Kabine vorbeibummeln. Aber trotzdem, irgendwie ist das Teil ja ganz nett. Die Körbchen sind auch noch nicht einmal mit „L“ und „R“ gekennzeichnet. Und vielleicht gibt es ja einen Eröffnungsrabatt. Den Panty ziehe ich dann allerdings gar nicht erst an. Vermutlich bin ich auch eher der Typ für „den klassischen Brief“. Ich schleiche an dem Verkäufer vorbei zur Kasse und zahle ohne großen Jagdtriumph.
In den folgenden Wochen erweist sich die Neuerwerbung als angenehm, aber nicht sensationell. Trotz Climate Control wird das gute Stück patschnass und bietet dadurch weniger Halt. Aber immerhin ist es leicht und scheuert nicht. Ich sollte einfach an die Firma Unno schreiben, dass ich ihre Kollektion von vor ein paar Jahren ganz entsetzlich fand. Vielleicht nehmen sie sie dann ja wieder ins Programm.
Titelbild © Karolina Grabowska – pexels.com
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2 Kommentare
Jaja, es muss auch obberum stimme, wie der Hesse sagt. Dieses schöne Stück Text ist mir ja bis heute völlig entgangen. DAbei kommt darin der „klassische Brief“ vor, mit einer ganz neuen Bedeutung! Begeistert. Im übrigen muss ich recht geben, denn an dieser Theorie „beliebte Produkte nehmen wir mal lieber aus dem Programm“ ist was dran.
Hihi!! Ich musste viel lachen bei diesem Beitrag.Ich kann vieles nachempfinden obwohl meine Kenntnis im Bereich der Sportbekleidung noch nicht übermäßig groß ist!Und das mit dem Verschwinden der guten Ware kommt mir irgendwie auch bekannt vor.. Vielen Dank jedenfalls für das Geschreibsle zu den guten Stücken!Und ja ich mag es gar nicht wenn viele Leute in einem Geschäft um mich herum Wirbel machen – da kann ich mich gar nicht konzentrieren, ich werde sehr genervt und muss wohl oder übel gehen :DLiebe Grüße*